„Plattform Zukunftsbudget“ – „Retro-Touch“, oder doch nicht?

Einen interessanten Kommentar zur „Plattform Zukunftsbudget“ – sie wird auch von der UG und ihren Säulen unterstützt – findet sich im Standard vom 17. November 2010. Unter dem Titel „Proteste mit Retro-Touch“ schreibt Gerald John u.a.:

„Für eine Kampagne, die sich ‚Zukunftsbudget‘ nennt, kommt darin erstaunlich wenig Zukunft vor. Der zentrale Slogan – kein Sparen bei Kindern, Jugend und Familien – ist im eigentlichen Sinne konservativ.“

Und weiter:

„Es stimmt zwar, dass viele Einschnitte die Falschen treffen. Doch von einer Initiative mit derart hochtrabenden Namen darf man schon Ideen erwarten, wo stattdessen Geld aufgetrieben werden soll, um es klug einzusetzen. Die Homepage schweigt dazu … Gerade punkto Familienförderung weist der Status quo keinesfalls in eine erbauliche Zukunft. Österreich schüttet unter diesem Titel überdurchschnittlich viel Geld aus – und verfügt dennoch über eine niedrige Geburtenrate, immer mehr armutsgefährdete Kinder und zu wenige vollzeiterwerbstätige Frauen. Wer nun den Alleinverdienerabsetzbetrag verteidigt, fördert damit auch männliche Soloernährer, die sich eine Hausfrau leisten wollen.“

Schließlich:

„Die Ansage ‚Alles soll beim Alten bleiben‘ ist vor diesem Hintergrund ziemlich retro. Wer es besser machen will als die fantasielose Regierung, muss auch sagen, wie.“

Recht hat er ….

Man/frau kann diesem Kommentar einerseits nur zustimmen – hinsichtlich der Analyse von Familienpolitik in diesem Land. Er liegt – gerade auch aus Sicht der AUGE/UG – goldrichtig. Die österreichische Familienpolitik ist konservativ, teuer und beruht vor allem auf Geldleistungen aus dem rund 6 Mrd. Euro schweren Familienlastenausgleichsfond – FLAF.

In „fetten“ Jahren werden bzw. wurden diese Geldleistungen auch immer wieder ausgeweitet – gleichzeitig fehlt für ganztägige, ganzjährige, bedarfsgerechte Kinderbetreuungseinrichtungen/-bildungseinrichtungen von der Krippe bis zur Schule von vorne bis hinten Geld, muss jede zusätzliche Million mühsam erstritten werden. Auch im Rahmen der letzten Steuerreform fand diese „geldleistungsbezogene“ Familienpolitik ihren ganz spezifischen Ausdruck – nämlich in einem Familienpaket, das rund 500 Mio. kostet (z.B. für steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuung).

Diese 500 Mio. Euro in die Hand genommen, um entsprechende Betreuungs- und Bildungseinrichtungen auszubauen, hätte die Bedarfslücke geschlossen. Insbesondere für einkommenschwache Schichten, die überhaupt keine Möglichkeit der steuerlichen Absetzbarkeit haben, weil sie keine Lohnsteuer zahlen. Ihnen fehlen schlichtweg die Kindergärten, der Hort in der Schule, die Ganztagsschule um einer entsprechende Erwerbstätigkeit nachgehen zu können die mehr Einkommen bringt. Eine eigenständige Erwerbstätigkeit die ein entsprechendes Einkommen sichert, wirkt immer noch am besten gegen Armut und Armutsgefährdung. Ein umfassendes Angebot an bedarfsgerechte Kinderbetreuung/-bildung ist dafür ganz besonders wichtig. Und: ein wichtiges Mittel, um überhaupt Abrutschen in Armut zu verhindern ist Bildung – und zwar ab dem Kleinkindalter, Dazu braucht es massive Investitionen, jede Menge Geld für den primären Bildungssektor – also Kinderkrippen- und gärten. Sachleistungen – und dazu gibt es jede Menge Expertisen – wirken Kinder- und Familienarmut jedenfalls besser entgegen, als Geldleistungen.

Die AUGE/UG hat diese Form der Familienpolitik daher auch seit jeher kritisiert. So brachte die AUGE/UG bereits 2007 einen Antrag in die AK-Vollversammlung ein, in der Umwidmungen von Geldmitteln des FLAF von Geld- hin zu Sachleistungen gefordert wurde (übrigens mit der ziemlich gleichen Argumentation, mit der John die österreichische Familienpolitik kritisiert). Dieser fand schließlich in den Arbeiterkammern auch breite Zustimmung in den sozialdemokratischen Reihen.

… und falsch liegt er

Man/frau muss Gerald John allerdings auch entschieden widersprechen: Muss eine Diskussion über Sach- und/oder Geldleistungen sowohl im Familien- als auch im Pflegebereich tatsächlich geführt werden, hat diese grundsätzliche Debatte nichts mit den geplanten, teilweise unverhältnismäßigen Einschnitten bei Familienbeihilfe und Pflegegeld zu tun, die im Rahmen der Budgetkonsolidierung geplant sind. Und es kommt wohl auch kein Mensch – nicht einmal Ministerin Karl – auf die Idee, die Basissubventionen für die außeruniversitäre Forschung für die Krise und die daraus resultierenden Kosten verantwortlich zu machen.

Sucht frau/mann die Ursachen für höhere Defizite und höhere Staatschulden wird er/sie finden: sie liegen wohl in der Finanz- und Wirtschaftskrise als in Familienbeihilfen für StudentInnen und bei der Pflegegeldstufe I und II begründet.:

  • So fiel alleine von 2008 auf 2009 das Aufkommen aus der KÖSt – also der Unternehmenssteuer – von 6,3 auf 4,2 Mrd. Euro.
  • Das Steueraufkommen aus der KESt – der Kapitalertragssteuer – gleichzeitig um 700 Millionen Euro.
  • Und: es wurde eine Steuerreform – vor allem ein Tarifreform inklusive Familienpaket – im Umfang von 3,2 Mrd. Euro beschlossen

Im Gegensatz dazu sind die Staatsausgaben zwar gestiegen – aber angesichts der Schwere der Krise keinesfalls so dramatisch. Die Staatsausgabenquote lag im schwersten Krisenjahr 2009 bei rund 51 % (vor Beginn der Krise: 48,6 %). Nur zum Vergleich: Im Zeitraum von 1983 bis 2004 lag die Staatsausgabenquote nur einmal (!) unter dem vermeintlichen Spitzenwert des Jahres 2009!

Und die Arbeiterkammer rechnet auch vor, was unter anderem für den Anstieg der Staatschuld verantwortlich ist:

„Immer wieder wird betont, dass jenes Geld, das den Banken im Rahmen des Bankenpakets zur Verfügung gestellt wurde, ein gutes Geschäft sei. Immerhin sind 8 Prozent an Zinsen nicht so schlecht. Ganz so sieht die Realität jedoch nicht aus: Für das Bankenpaket muss die Republik 6,9 Milliarden Euro Schulden auf sich nehmen. Durch den Dividendenausfall bei der Österreichischen Volksbanken AG und der Hypo Alpe Adria entgehen dem Staat allein bei den Dividenden dieser beiden Banken 294 Millionen Euro für 2009 und 2010. Insgesamt sind vermutlich rund 3 Milliarden an Steuergelder verloren. Gelder, die in die Hypo Alpe Adria und die Kommunalkredit geflossen sind.“

Wie kommen StudentInnen, junge ArbeitnehmerInnen und ihre Familien dazu …

So. Und nun stellt sich schlichtweg die Frage: Wie kommen StudentInnen über 24, wie kommen arbeitssuchende Jugendliche, wie kommen Pflegebedürftige und deren alle Angehörige und Familien dazu, die Suppe auslöffeln zu müssen, die sie definitiv NICHT gekocht haben? Was haben Familienbeihilfe und Pflegegeld mit den Kosten der Finanzmarktkrise zu tun??? Nichts, rein gar nichts. Viel zu tun hat dagegen zum Beispiel die steuerliche Förderung privater Pensionsvorsorge: das Anhäufen von Vermögen in Pensionsfonds, die an Finanzmärkten auf der Jagd nach höchsten Renditen veranlagt werden und so für spekulative Wellen und Destabilisierungen entscheidend mit verantwortlich sind werden Jahr für Jahr in Österreich mit 650 Mio. Euro/Jahr steuerlich gefördert!! Viel zu tun hat auch die Steuerfreiheit vom Wertpapierhandel. Viel zu tun hat die totale Schieflage der Verteilung von Einkommen und Vermögen. Viel zu tun haben die Privatisierungen der letzten Jahrzehnte. Und, und, und … Mit Kürzungen bei Familienbeihilfen für StudentInnen und junge Arbeitslose wird keine einzige Ursache der Krise – etwa die massive Vermögens- und Einkommenskonzentration ganz oben – behoben, wird kein einziger Mechanismus in Gang gesetzt, um Krisen wenn schon nicht zu verhindern (im Kapitalismus schlicht unmöglich) so doch zumindest in ihrem Auftreten und ihren Auswirkungen zu mindern.

Umschichten UND frisches Geld statt Streichkonzerte!!

Im Vergleich zur steuerlichen 650 Millionen Förderung privater Pensionsvorsorge: Familienbeihilfen und Pflegegeld 2011 werden um zusammen rund 400 Mio. Euro gekürzt. Wo ist da die Verhältnismäßigkeit?? Und: es wird gekürzt – nicht umgeschichtet. Es wird eingespart. Nicht wo anders investiert.

Alle wissen: es braucht mehr Geld für Bildungseinrichtungen, für Pflege etc. Mehr Geld kann es im Rahmen von Umschichtungen geben, wenn bereits eingesetzte Geldmittel anderswo sinn- und wirkungsvoller eingesetzt werden können: z.B. von Familienbeihilfe zu Kindergärten um Kinderarmut zu verhindern und ein mehr an Chancengleichheit herzustellen. Oder vom Pflegegeld in einen Pflegefonds zur Finanzierung regulärer Arbeitsverhältnisse im Pflegebereich, zu einem Ausbau und Verbesserung von Pflegeleistungen. Darüber kann frau/mann reden. Darüber muss frau/mann reden.

Bildung und Soziales: wer spart statt zu investieren raubt Zukunft!

Wir wissen auch alle: Es braucht mehr Geld, Umschichten alleine wird nicht reichen. Es braucht alleine im Bereich der mobilen Pflege mindestens 10.000 zusätzliche Beschäftigte. Es müssen Sozialberufe finanziell deutlich aufgewertet werden. Es braucht einen Lückenschluss bei Kinderbetreuungs-/bildungseinrichtungen, mehr Nachmittagsbetreuung, Ganztagsschulen, und, und, und. Wer kürzt, stellt bekanntlich nicht mehr an Geld zur Verfügung. Wer kürzt und von „Sachleistungen“ spricht, lenkt ab. Wer kürzt hat nämlich nichts mehr zu Umschichten. Jedenfalls nicht von Geld- zu Sachleistungen. Wer spart, statt in Bildung und Soziales zu investieren, raubt Zukunft. Darum geht es. Auch das ist zentrale Forderung der Plattform. Darum ist die „Plattform Zukunft“ auch nicht retro.

Der Katholische Familienverband und z.B. die AUGE/UG werden sich bei der Familienpolitik vermutlich nicht treffen. Darum geht es auch nicht. Es geht einmal mehr darum, zu verhindern, dass jene für die Krise zu zahlen haben die nichts dafür können. Und dazu gehören sicher StudentInnen über 24, die bei Streichung der Familienbeihilfe ihr Studium aus ökonomischen Gründen nicht fertig bringen können. Zu den „Unschuldigen“ an der Krise gehören auch sicher arbeitssuchende Jugendliche, die mit Streichung der Familienbeihilfe einer noch stärkeren Armutsgefährdung ausgesetzt sind. Und es betrifft Pflegebedürftige der Stufe I und II und deren Angehörige, die nun möglicherweise notwendige Pflege aus ihrem mehr oder weniger mageren Einkommen bestreiten müssen.

Mit denen und für die gehen wir unter anderem auf die Straße. Nicht für eine reaktionäre Familienpolitik. Sicher nicht für die Beibehaltung des Alleinverdienerabsetzbetrags (was übrigens die Plattform Zukunftsbudget auch nicht fordert!). Da kann frau/mann sich auf die AUGE/UG verlassen.

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