Schuldenbremse: SozialdemokratInnen als ’nützliche Idioten‘?
17. November 2011 von adminalternative
Nun ist sie also erst einmal im Ministerrat beschlossen. Die ‚Schuldenbremse‘:
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- Ab 2017 sollen Bund, Länder und Gemeinden einen „strukturell ausgeglichenen“ Haushalt erstellen, was erreicht ist, wenn das ’strukturelle‘ Defizit nicht über 0,35 % des BIP liegt. Ausnahmen von dieser Defizitschranke sollen nur bei „Naturkatastrophen“ oder „außerordentlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen“ zulässig werden (mit einfacher Mehrheit zu beschliessen). Zumindest die automatischen Stabilisatoren (z.B. Arbeitslosengeld) können auch in konjunkturellen Krisenzeiten wirken.
- Wird das Defizitziel verfehlt, wird der „Überhang“ in einem Kontrollkonto vermerkt. Überschreitet das zulässige Bundesdefizit statt der 0,35 % auch noch 1,5 % des BIP, muss diese Überschreitung „konjunkturgerecht“ abgebaut werden, sprich es muss ein entsprechender Plan vorgelegt werden (im Fall der Länder und Gemeinden, wird diese Überschreitung in einem gemeinsames Kontrollkonto der Länder erfasst, wenn Überschreitungen im Ausmaß von 0,25 % des BIP stattfinden. Ansonsten gilt für Länder und Gemeinden ein Nulldefizit).
- Die „magische Grenze“ (Der Standard vom 16. November 2011) von 60 % maximaler Staatsverschuldung findet sich im Gesetzesentwurf zwar nicht, allerdings ein Hinweis auf bisher gültige EU-Vorschriften in Sachen Staatshaushalt. Bund, Länder und Gemeinden müssen sicherstellen, „dass die Verpflichtungen der Republik Österreich aus Rechtsakten der Europäischen Union zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin erfüllt werden.“
(Quelle: Der Standard, Printausgabe vom 16. November 2011, Die Presse vom 17. 11. 2011: Regierung steigt bei Schuldenbremse aufs Gas)
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Soweit zu den Plänen. Noch ist die „Schuldenbremse“ nur Ministerratsbeschluss. Um Verfassungsgesetz zu werden, braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Und – noch ? – zieren sich die Oppositionsparteien.
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Abermilliarden an Konsolidierungsbedarf
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Hinsichtlich einer ökonomischen Bewertung einer „Schuldenbremse“ und ihrer Wirkung auf Beschäftigung, Wachstum und konjunktureller Entwicklungen sei an dieser Stelle auf ein Kommentar auf dem BLOG des BEIGEWUM, auf einen AK-Antrag der AUGE/UG zur 156. AK-Vollversammlung sowie der IMK-Appell gegen die deutsche Schuldenbremse aus dem Jahr 2009. Wie fatal und aberwitzig eine „Schuldenbremse“ wirken kann, haben nicht zuletzt die Budgetverhandlungen in den USA gezeigt, wo eine kleine radikale Minderheit von religiösen „Tea Party“-Fundis – für die jeder Cent mehr Vermögenssteuer und jeder Dollar zusätzlicher Verschuldung offensichtlich ein mit Hölle zu bestrafendes Teufelswerk darstellt – zuerst die Ökonomie einer ganze Nation in Geiselhaft für ihre wahnhaften Vorstellungen genommen hat, um schließlich eine wahre Kürzungs- und Streichorgie bei (in den USA ohnehin bescheidenen) Sozialmaßnahmen, Gesundheit und Bildung durchzusetzen. Amen!
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Nicht vergessen werden sollte auch, dass mit der geplanten „Schuldenbremse“ ein bereits beschlossenes bzw. bestehendes Bündel an Budgetrestriktionen noch um ein weiteres ergänzt wird. Eine Auswahl?
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- Erinnert sei etwa an das Bundesfinanzrahmengesetz, das Ausgabeobergrenzen vorsieht, und nachdem bereits der Budgetkonsolidierungspfad bis 2014 beschlossen wurde. Konsolidierungsbedarf bis 2014 insgesamt (nur Bund): rund 12,6 Mrd. Euro, davon rund 4,5 Mrd. einnahmeseitig, 8,1 Mrd. ausgabeseitig.
- Erinnert sei an die im Rahmen des Six-Pack beschlossene Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Etwa an die „Ausgaberegel“, die da besagt, dass das jährliche Wachstum öffentlicher Ausgaben die mittelfristige BIP-Wachstumsrate grundsätzlich nicht überschreiten darf. Oder die „Schuldenregel“, die eine Rückführung der Staatsschuld auf 60 % des BIP verlangt. Liegt die Schuldquote über 60 % muss sich der Abstand über die letzten drei Jahre hinweg um durchschnittlich 1/20 pro Jahr verringern. Für Österreich mit einer gesamtstaatlichen Schuld 2010 von rund 71,8 % des BIP (Statistik Austria) ergäbe sich somit ein „Rückführungsbedarf“ von 34 Mrd. Euro, also im ersten „Rückführungs-Jahr“ von zusätzlich 1,7 Mrd. Euro (und die Folgejahre entsprechend etwas weniger)! Prognostiziert wird bis 2014 allerdings eine Staatsschuld von knapp über 75 % (2012: 74,6 %, 2013: 75,5 % siehe Standard-Grafik) des BIP. Der „Rückführungsbedarf“ würde sich dann auf eine Summe von rund 45 Mrd. Euro belaufen! Übrigens: laut Standard vom 16. November und Aussagen so mancher ÖVP-PolitikerInnen (wieder einmal Fekter im Morgenjournal vom 15. November 2011) soll Österreich dieses Ziel bis zum Jahr 2020 erreichen – das würde, beginnend mit 2015 Jahr für Jahr einen zusätzlichen Konsolidierungsbedarf von rund 9 Mrd. Euro ergeben!
- Kommt nun auch die Schuldenbremse – also die Reduktion des ’strukturellen Defizits‘ bis 2017 auf 0,35 % – beliefe sich der Konsolidierungsbedarf – bezogen auf das Jahr 2012 – auf zusätzliche rund 9,2 Mrd. Euro im (Konsolidierungsbedarf bezogen jeweils auf das Vorjahr beginnend mit 2013 dem Jahr, in dem die Schuldenbremse zu laufen beginnt: 1,58 Mrd. Euro, 2014: 1,7 Mrd. Euro, 2015: 1,84 Mrd Euro, 2016: 1,99 Mrd. Euro, 2017: 2,14 Mrd. Euro, Quelle: Bruno Rossmann, Einschätzung Schuldenbremse)
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Abermilliarden, Abermilliarden und noch einmal Abermilliarden … Und während die SPÖ noch darauf hofft, die ÖVP doch noch von einer „Reichensteuer“ überzeugen zu können (die – ginge es nach dem SPÖ-Modell – gerade einmal 2 von notwendigen über 9 Mrd. Euro aufbringen würde!), weiß die ÖVP schon recht genau, wo das Geld für die Konsolidierung und die „Schuldenbremse“ zu holen ist: bei den Ausgaben. Bei Pensionen, Gesundheit, bei den ÖBB … überall dort, wo „Rotes“ vermutet wird. Dafür soll es – der ÖVP-Klassiker – mehr Geld für die „Familien“ geben, um den „Mittelstand“ zu entlasten, so Fekter im Morgenjournal vom 15. November, „weil diese bislang steuerlich kaum gefördert würden.“ Nun fragt sich jede/r der zuhört, wo die Frau Fekter eigentlich lebt – gibt es doch kaum ein anderes Land in der westlichen Hemisphäre in dem es so großzügige, teure und gleichzeitig hinsichtlich der Armutsvermeidung so ineffiziente Familienleistungen gibt, wie in Österreich -, aber was schert’s eine g’standene Konservative. Wirtschaftsminister Mitterlehner spricht gar allen Ernstes von „Zukunftsinvestitionen“, wenn er davon spricht, Familientransfers zu erhöhen und künftig inflationsangepaßt auszuzahlen.
„Voodoo“-Ökonomie war gestern. „Schottergruabn-Ökonomie“ ist heute.
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„Wer bringt ‚Blau-Schwarz‘ die Zwei-Drittel-Mehrheit?“, oder „Sozialdemokraten als ’nützliche Idioten‘?“
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Anbetrachts einer allgemein herrschenden bzw. herbeigeschriebenen ‚Schuldenhysterie‘ mit kolportiertem drohenden Verlust des Triple-A haben sich nun scheinbar auch die SozialdemokratInnen dazu entschlossen, dem Verein der „Schuldenbremser“ beizutreten. Die Konservativen freut’s. Nun haben sie – endlich! – wieder die Definitionshoheit darüber, was den Krise ist, wo sie herkommt und wie sie zu bekämpfen ist. Ja, die Finanzmärkte und ihre Agenten sind gnadenlos. An eine Züchtigung derselben sei allerdings natürlich nicht zu denken. Wie sagte nicht schon Frau Finanzministerin im Rahmen ihrer Budgetrede?
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„Ratingagenturen sind dabei die Schiedsrichter und wer die Spielregeln nicht einhält, bekommt die gelbe oder rote Karte. Ich möchte für Stabilität für eine sichere Zukunft und deshalb werden wir uns an die Spielregeln halten.“
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Und die heißen nun mal sparen. Nicht bei den Banken, nein da steht Finanzministerin mit sechs Milliarden Euro bei Fuß, wenn die Unterstützung brauchen. Fekter weiß, wem sie als Strammkonservative was schuldig ist. Irrtümlicherweise wird das immer noch „Wirtschaftskompetenz“ genannt.
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Nein, gespart werden soll – wie schon oben erwähnt – bei allem was der Sozialdemokratie gut, schön und heilig ist. Wie belämmert wirkt sie, ein Klubobmann Cap erblödet sich nicht, die „Erfindung“ der Schuldenbremse im Rahmen eines runden Tisches für die „Sozialdemokratie“ zu reklamieren. Gut, für die deutsche, aber wurscht. War vor etlichen Wochen eine Schuldenbremse im Verfassungsrang undenkbar ist nun plötzlich alles ganz anders. Und Legionen an SPÖ-MandatarInnen rücken aus, um über Presseaussendungen den Schwenk, der nicht zu erklären ist, zu erklären. Einmal mehr wurde die Banken- und Finanzkrise in eine Staatsschuldenkrise umgedeutet. Die Sozialdemokratie ist dabei. Sie war – als Regierungspartei mit Kanzler dabei, als im EU-Rat die Verschärfungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts beschlossen wurde. Als EU-Partei hat sie sich ihre dahingehende Unschuld bewahrt. Als österreichische Regierungspartei spielt sie nun den nützlichen Idioten für eine neokonservative politische Agenda, die darauf abzielt, den Sozialstaat massiv rückzubauen und die Privatisierung voranzutreiben. Wie sonst soll in dieser Geschwindigkeit, in diesem Ausmaß, in dieser Radikalität ein Rückbau an Staatsschulden und Defiziten stattfinden? In der ÖIAG sitzt an den Schalthebeln schon der Oberprivatisierer schlechthin. Und wenn es vielfach auch scheint, als wüsste die Finanzministerin nicht, wovon bzw. was sie daher redet, sie weiß genau, was ihre Mission ist. Verblüffend auch die Schockstarre in die Gewerkschaften und Arbeiterkammern gefallen sind (die wurde zumindest gewerkschaftsseitig mit einem Interview im Mittagsjournal vom 17. November 2011, in dem sich ÖGB-Präsident Foglar kritisch bis ablehnend äußerte vorerst einmal gelöst). Sie – in der Mehrheit sozialdemokratische GewerkschafterInnen – wissen nur allzu gut, was ihnen da die Regierungspartei SPÖ eingebrockt hat. Mit der Schuldenbremse stimmt die Sozialdemokratie für massive Sparpakete. Erbringt eine Vorleistung für Schwarz-Blau.
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Zweiterer Part des Farbenpaars des Grauens wird allerdings davor hüten, einer „Schuldenbremse“ – übrigens eine Dauerforderung der FPÖ – zuzustimmen. Nein, so blöde sind Strache und die Seinigen nicht. Die Drecksarbeit sollen andere machen – aus vermeintlicher Staatsräson, aus Überzeugung. Er darf dann zur nächsten Nationalratswahl die massiven Sparpakete bei PensionistInnen, Arbeitslosen, Kranken etc. beklagen und bejammern und die Schuld weit von sich auf die Systemparteien SPÖ, ÖVP und – ja und wen noch ? – schieben, die „Milliarden nach Griechenland und in die EU“ verschieben und die österreichische Bevölkerung dafür darben lassen.
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Keine ‚linke‘ Stimme für eine ‚rechte‘ Agenda!
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Also – wer gibt sich für die Zwei-Drittel-Mehrheit her, das ist die entscheidende Frage. In einer JournalistInnen- und „ExpertInnen“runde anschließend an das gestrige Abendjournal ging dieselbe erstaunlicherweise davon aus, dass die Stimmen für die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit von den Grünen kommen würden. Erstaunlicherweise deshalb, weil diese derzeit die einzige Oppositionspartei darstellen, welche aus grundsätzlichen Erwägungen einer Schuldenbremse ablehnend gegenüber steht. Allerdings sind die grünen „Parteistrategen“ – wer immer das ist – hinsichtlich ihrer „Strategie“ berüchtigt. Und das ist nicht unbedingt als Kompliment aufzufassen.
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Die Grünen sind jedenfalls gut beraten, jegliche Zustimmung zu einer Schuldenbremse von vorhinein auszuschließen. Waren die Grünen schon auf EU-Ebene- richtigerweise – gegen die Verschärfungen des Stabilitäts- und Wachstums pakts, wäre es nur konsequent – und nicht weniger richtig – auch auf österreichischer Ebene klar „Nein“ zu einer politischen Agenda zu sagen, die keine Grüne ist.
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Es wäre auch – um es vorsichtig auszudrücken – ausgesprochen seltsam, würde eine sich „fortschrittlich“ verstehende Oppositionspartei einer Regierungspartei Mittel zu einem massiven Kahlschlag bei Sozialem und Bildung in die Hand geben, wohl wissend, dass die extreme Rechte sie für diese Sparpakete mitverantwortlich machen würde. Es ist zu hoffen, dass auch die „grünen“ Parteistrategen das ähnlich sehen.
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Nein, wenn die Rechtsparteien – ÖVP, FPÖ und BZÖ – eine Schuldenbremse wollen, dann sollen sie dazu stehen, sagen wo sie sparen wollen, und entsprechende Mehrheiten suchen. Für eine Zwei-Drittel-Mehrheit reicht diese Koalition der „Schottergruabn-Ökonomie“ glücklicherweise nicht. Es kommt nicht zuletzt auf die Sozialdemokratie und den ihr nahestehenden GewerkschafterInnen an, ob es zu einer Rückkehr der Vernunft, oder ein ideologisches – und zu befürchtendes – politisches Comeback von Schwarz-Blau kommt. Das kann die Sozialdemokratie allerdings wohl doch nicht wollen …
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Presseaussendungen der AUGE/UG bzw. der UG zum Thema: