Schwarz-Blaue Arbeitsmarktpolitik (I): Bösartigkeiten abseits von Hartz IV
23. Januar 2018 von adminalternative
Abschaffung der Notstandshilfe und Hartz IV auf österreichisch – das sind die bislang umstrittensten und auch bekanntesten Pläne der neuen Bundesregierung im Bereich Arbeitsmarkt. Es gibt allerdings noch einige mehr, die unserer Aufmerksamkeit verdiene. Hätten sie doch, würden sie umgesetzt, massive Auswirkungen auf Arbeitssuchende wie ArbeitnehmerInnen.
Einige „Höhepunkte“ aus dem schwarz-blauen Regierungsprogramm:
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1. Verschlechterung der Zumutbarkeitsbestimmungen
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Zumutbare Wegzeiten sollen bei Teilzeit auf zwei Stunden, bei Vollzeit auf 2,5 Stunden ausgeweitet werden. Zusätzlich sollen Berufsschutz und Entgeltschutz „in Richtung stärkerer Arbeitsanreize“ überprüft werden. Das kann natürlich nur eine Aufweichung bedeuten.
Bislang ist innerhalb der ersten 100 Tage eine Vermittlung nur in den zuletzt ausgeübten Beruf zulässig, oder in ein Beschäftigungsverhältnis, das eine künftige Beschäftigung im „alten“ Beruf nicht erschwert („Berufsschutz“). Zusätzlich besteht ein „Entgeltschutz“ für die ersten 120 Tage (das Einkommen im neuen Beruf darf nicht unter 80 Prozent der Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld liegen) bzw. ab dem 121. Tag (75 Prozent der Bemessungsgrundlage).
Der Sinn derartiger Regelungen:
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- Der Berufsschutz soll den/die Betroffene/n vor einem Dequalifizierungsrisiko bewahren – also der Zuweisung in einen Job, der nicht den erlernten Qualifikationen entspricht, diese so entwertet und die Rückkehr in entsprechende Beschäftigungsverhältnisse erschwert. Zugleich soll verhindert werden, dass überqualifizierte Arbeitssuchende in Beschäftigungsverhältnissen mit formal niedrigeren Ausbildungserfordernissen und entsprechend niedrigerer Entlohnung vermittelt werden – tatsächlich allerdings entlang ihrer erworbenen Qualifikationen eingesetzt werden. Nur eben deutlich schlechter entlohnt.
- Der Entgeltschutz soll vor Lohndumping schützen – also vor einem Verdrängungswettbewerb aktuell Beschäftigter durch „billige“ Arbeitssuchende. Beide Maßnahmen sind also Schutzbestimmungen – sowohl im Sinne der Arbeitssuchenden als auch Beschäftigten.
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Keinen Berufs- bzw. Einkommensschutz gibt es ab Bezug der Notstandshilfe. Jobs müssen nur „angemessen entlohnt sein“ (nach Kollektivvertrag) und dürfen nicht „Gesundheit und Sittlichkeit“ gefährden.
In den letzten Jahren schon wurden die Zumutbarkeitsbestimmungen deutlich zu Lasten der Arbeitssuchenden verschlechtert. Eine weitere Lockerung („Überprüfung … in Richtung stärkerer Arbeitsanreize“) würde angesichts des nach wie vor krassen Missverhältnisses zwischen Arbeitslosenzahlen und offenen Stellen den Druck auf Arbeitssuchende, so gut wie jeden Job annehmen zu müssen, weiter verstärken. Das führt zwangsläufig zu Dequalifizierung und Druck auf bestehende Arbeitsverhältnisse.
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2. Verschärfte Sanktionen
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Verschärft werden sollen nämlich auch die Sanktionen – insbesondere die Sperrfristen. Entgegen immer wieder – insbesondere seitens der WKÖ oder ÖVP vorgebrachten Behauptungen – sind Arbeitslosengeld und Notstandshilfe alles andere als „soziale Hängematten“. Wer z.B. eine Arbeitsaufnahme oder eine Schulungsmaßnahme verweigert, die Kontrollmeldung versäumt oder gänzlich „arbeitsunwillig“ ist, dem wird wird das Arbeitslosengeld – meist zeitlich befristet – gesperrt. Derartige Sperren erfolgten im Jahr 2016 103.804 mal, ein Anstieg von 1,34 Prozent gegenüber 2015. Derartige Sperren bedeuten für die Betroffenen oft genug massive Einkommensverluste und existenzielle Ängste. Die Zahl der Sperren droht – in Verbindung mit den verschlechterten Zumutbarkeitsbestimmungen – unter schwarz-blau zu steigen. Wer nicht bereit ist, sich einem Dequalifizierungsrisiko auszusetzen oder einen Niedriglohn-Job anzunehmen, dem wird einfach das Arbeitslosengeld gesperrt. Die Entrechtung Arbeitssuchender schreitet voran.
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3. Zeitliche Begrenzung geringfügiger Beschäftigungsverhältnis
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Die Möglichkeit, neben dem Arbeitslosengeld bzw. der Notstandhilfe geringfügig dazuzuverdienen zeitlich befristet werden. Bislang konnten Arbeitslose – um ALG oder NH aufzustocken – bis zur Geringfügigkeitsgrenze (aktuell 428,05 Euro/Monat) dazuverdienen. Diese Möglichkeit soll nun deutlich eingeschränkt werden, um ein „Verharren im Leistungsbezug hintanzuhalten“. Unterstellt wird auch hier, dass es sich mit Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und geringfügigem Zuverdienst gut leben lasse und deswegen kein wirklicher Anreiz für die Aufnahme einer Erwerbsarbeit bestünde. Fakt ist: selbstverständlich gelten auch für geringfügige beschäftigte ALG- und NH-GeldbezieherInnen nicht nur sämtliche Regelungen betreffend Berufs- und Einkommensschutz sondern auch die Verpflichtung für den Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen – mit den entsprechenden Sanktionen bei Verweigerung oder „Vereitlung“ einer Arbeitsaufnahme.
Die von schwarz-blau geplante Maßnahme drängt vielmehr Arbeitslose als „Aufstocker“ in die Mindestsicherung, wenn ihnen ein geringer Zuverdienst verwehrt wird. Das kostet nicht nur die öffentlichen Hand Geld und erhöht die Zahl der BMS-BezieherInnen, das verpflichtet die Betroffenen auch zur Vermögensverwertung, bis BMS beantragt werden kann und erschwert tendenziell die Rückkehr am Arbeitsmarkt: Weil bspw. mit der Verwehrung einer Nebenbetätigung Arbeitsroutine, Tagesplanung etc. verloren gehen. Eine kontraproduktive Maßnahme die nur mehr Steuergeld kostet, Arbeitslose noch stärker in die Armutsfalle drängt und nur eine zusätzliche Schikane darstellt. Sonst nichts.
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4. Beschränkte Anrechnung von Zeiten der Arbeitslosigkeit auf die Frühpension
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Die schwarz-blaue Regierung will künftig die Anrechnung von Zeiten der Arbeitslosigkeit auf „Frühpensionen“ auf maximal zwei Jahre beschränken. Der Terminus „Frühpensionen“ deutet darauf hin, dass sowohl Korridorpensionen als auch Schwerarbeiterpensionen davon betroffen sein dürften.
Bislang wurden alle Zeiten von Arbeitslosigkeit – ohne Beschränkung – angerechnet. Lange bzw. häufige Phasen von Arbeitslosigkeit drückten zwar auch bislang auf die Pensionshöhe, die geplante Regelung droht Pensionen von Menschen, die von häufiger (z.B. SaisonierarbeiterInnen) oder von längeren Phasen (Langzeit- und ältere Arbeitslose) der Arbeitslosigkeit betroffen sind noch kräftiger zu reduzieren. Wer im Alter länger arbeitslos ist – oft genug nicht freiwillig – der muss derzeit nach spätestens 12 Monaten der Arbeitslosigkeit – in der Regel mit spätestens 63 Jahren in die Korridorpension – abgehen, verbunden mit Abschlägen. Mit den schwarz-blauen Plänen droht die Pension bei vorzeitigem Antritt noch niedriger auszufallen. Insgesamt traten 2016 rund 27.000 Männer die Alterspension an. Rund 4.000 Pensionsfälle betrafen dabei die Schwerarbeiterpension, 7.400 Fälle die Korridorpension. 16 Prozent der Alterspensionisten gingen dabei aus der Arbeitslosigkeit in die Alterspension. Tausenden Betroffenen, die in den nächsten Jahren von der Arbeitslosigkeit in die vorzeitige Alterspension gehen, drohen bei Umsetzung der Regierungsvorschläge massive Verluste (Mehr zum Thema auf reflektive.at ).
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5. Keine Verlängerung des Arbeitslosengeldbezugs bei Krankenständen
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Bislang wird bei Krankenständen nach dem 4. der Arbeitslosenbezug unterbrochen und durch Krankengeld – ausbezahlt von der jeweiligen Gebietskrankenkasse – ersetzt. Eine Regelung die auch Sinn macht: Wer Arbeitslosengeld bezieht, muss dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Das Krankengeld überbrückt jene Zeit, in der ein/e Arbeitslose/r dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht und daher auch kein Arbeitslosengeld bezieht. Derartige Unterbrechungen krankheitshalber verlängern den Arbeitslosenbezug.
Das will die Regierung nun ändern – unter dem Titel „Bekämpfung von Sozialmissbrauch“. Künftig sollen Krankenstände (Ausnahme stationäre Aufenthalte) den ALG-Bezug nicht mehr verlängern. Diese geplante Maßnahme stellt im Zusammenhang mit der geplanten Abschaffung der Notstandshilfe und eine massive Verschlechterung für Betroffene dar: Kranke – insbesondere auch chronisch kranke – Arbeitslose drohen schneller aus dem Arbeitslosengeldbezug in die Mindestsicherung – mit allen Folgen wie Zwang zur Verwertung des Vermögens, Deckelung, Arbeits- und Teilhabepflicht, keine Anrechnung von Pensionszeiten … – zu fallen.
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Zusammenfassung: Arbeitslose unter Generalverdacht
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Das schwarz-blaue Arbeitsmarktprogramm liest sich über weite Strecken wie ein Generalverdacht gegenüber Arbeitssuchenden, es sich in der „sozialen Hängematte“ bequem zu machen. Arbeitslose werden für ihr Schicksal verantwortlich gemacht, nicht gesellschaftliche bzw. wirtschaftliche Umstände. Trotz zehntausender Sperren jährlich, wird so getan als bräuchte es nur ein strengeres Sanktionsregime, verschärfte Zumutbarkeitsbestimmungen und eine Kürzung von Leistungen und Zuverdienstmöglichkeiten und schon seien entsprechende „Arbeitsanreize“ gesetzt, die eine Verweilen in der Arbeitslosigkeit weniger „attraktiv“ machen würde. Im schwarz-blauen Regierungsprogramm gibt es keine Maßnahme, welche die sozial oder finanzielle Situation von arbeitssuchenden Menschen verbessern würde. Vielmehr schreitet die Entrechtung und der Druck auf Arbeitslose voran – mit entsprechenden Auswirkungen auch auf jene, die eine Beschäftigung haben. Denn: Mit einer schnelleren Vermittlung unter Androhung von Repressionen und dem weiteren Abbau des Berufs- und Einkommensschutzes wird die industrielle Reservearmee vergrößert und der Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen erhöht.
Weder wird auf die Versicherungsfunktion des Arbeitslosengelds – eben gegen das Risiko Arbeitslosigkeit und drohender Verarmung abzusichern eingegangen, noch auf die so wichtige wirtschaftspolitische Funktion der Arbeitslosenversicherung – nämlich in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit gesellschaftliche Nachfrage zu erhalten. Die wichtige Rolle des Sozialstaates – und hier insbesondere der Arbeitslosenversicherung – bei der Bewältigung ökonomischer Krisen findet ebensowenig Beachtung wie die Bedeutung der Arbeitsmarktpolitik als wesentliches Instrument zur Förderung gesellschaftlicher Integration und Gleichstellung. Vielmehr soll Arbeitsmarktpolitik vollkommen auf den unmittelbaren und kurzfristigen Bedarf der Unternehmen abgestellt werden.
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Teil II: Schwarz-Blaue Arbeitsmarktpolitik: Geplanter Totalumbau
Und das betrifft nicht nur den Berufsschutz nach dem AlVG, sondern auch ASVG – was dies für den Tatbestand der Geminderten Arbeitsfähigkeit bedeuten wird mag ich mir gar nicht ausmalen!
Haben wir doch schon vor über 1 Monat aufgezeigt …
https://www.aktive-arbeitslose.at/politik/schwarzblau_bringt_hartz_iv_sozialraub_und_verschaerfung_des_neoliberalen_zwangregimes.html