Sozialbericht 2011 – 2012 (Teil 4): Sozial-ökonomische Folgen der Krise

In einem eigenen Kapitel widmet sich der aktuelle Sozialbericht den sozialen und ökonomischen Folgen bzw. „Kosten“ der Wirtschafts- und Finanzkrise. Dieser Teil bieten einen guten Überblick über die Entwicklung zentraler sozialer wie ökonomischer Kennzahlen in den Krisenjahren (Beobachtungszeitraum 2008 bis 2012) und über die stabilisierende Funktion des Sozialstaates und seiner Einrichtungen.

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Ökonomische Folgen

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Die Entwicklung des BIP 2007 bis 2011. Grafik: Sozialbericht 2011 - 2012, S 300

 

 

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Das Wirtschaftswachstum verlangsamte sich von + 3,7 % 2007 auf + 1,4 % 2008. 2009 – am ersten Höhepunkt der Krise – brach die österreichische Volkswirtschaft, wie so viele andere in Europa massiv ein und „schrumpfte“ um – 3,8 %. Einer der Hauptgründe war der krisenbedingte Einbruch der Exportwirtschaft. 2010 erholte sich die österreichische Wirtschaft mit einem Wachstum von + 2,1 % wieder deutlich und erreichte 2011 + 2,7 %. Für 2012 ist bereits wieder ein Einbruch prognostiziert, der sich 2013 fortzusetzen droht.

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Inlandsnachfrage stützt Konjunktur

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Die Entwicklung der Einkommen, der ArbeitnehmerInnenentgelte sowie der Konsumausgaben und ihre stabilisiere Wirkung auf die Konjunktur. Grafik: Sozialbericht 2011 - 2012, S 301

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Der private Konsum war ein wichtiger Pfeiler für die nicht einbrechende Inlandsnachfrage. Eine der wesentlichen Ursachen für die Stabilität der Konsumnachfrage war u.a. der kontinuierliche Anstieg der ArbeitnehmerInneneinkommen (insbesondere die vergleichsweise hohen Lohnabschlüsse Ende 2008 sowie die Steuersenkungen 2009). Gleichzeitig wirkten die „automatischen“ Stabilisatoren (z.B. Arbeitslosengeld) massiven Einkommensverlusten als Folge der Krise entgegen.

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Einkommensentwicklung

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Aufgrund der guten Lohnabschlüsse 2008 stiegen 2009 die Nettoeinkommen an, 2010 kam es allerdings zu einem Stillstand. Auch 2008 bis 2010 sind die Einkommensunterschiede weiter gestiegen. Diese Entwicklung ist allerdings nicht unmittelbare Folge der Krise sondern ist bereits längerfristig beobachtbar (so verlor das unterste Einkommensfünftel seit 1995 24 %, das oberste Prozent der EinkommensbezieherInnen gewann dagegen rund 6 %, siehe Beitrag, hier im BLOG):

  • während das unterste Einkommensviertel lediglich einen Nettoeinkommenszuwachs von 0,4 % verzeichnete, betrug der Zuwachs des dritten, oberen  Einkommensviertels 4,3 %.
  • Männer mussten im untersten Einkommensviertel sogar einen Nettoeinkommensverlust von – 2,6 % hinnehmen, Fraueneinkommen legten sowohl „unten“, also auch in der „Mitte“ und „oben“ zu – allerdings von deutlich niedrigeren Werte ausgehend.

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Sozialausgaben

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Die Sozialschutzsysteme in Österreich „erfüllten während der Wirtschaftskrise sowohl ihre gesellschafts- als auch ihre wirtschaftsstabilisierenden Funktionen und fungierten als Sicherheitsnetz gegen eine drohende Erosion des sozialen Zusammenhalts“, heißt es im Sozialbericht. Und weiter:

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„Vor allem verglichen mit den sozialen Folgen ähnlich starker wirtschaftlicher Einbrüche in der Geschichte bewährten sich die automatischen Stabilisatoren des österreichischen Sozialstaats in ihrer Wirksamkeit als konzertierte und systematische Form der Krisenabfederung.“

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Eine langfristige „Kostenexplosion“ infolge der Krise ist ausgeblieben: der starke Anstieg der Sozialquote (Anteil der Sozialausgaben in % des BIP) von 28,4 % auf 30,8 % im Krisenjahr 2009 war vor allem auf den massiven Rückgang des BIP und gestiegene Ausgaben für Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Bis 2011 ist die Sozialquote bereits wieder auf 29,3 % zurückgefallen.

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Steuereinnahmen

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Das Krisenjahr 2009 war geprägt von einem beträchtlichen Einnahmeverlust des Staates: 7,6 % oder 5,2 Mrd. Euro weniger an Steuereinnahmen flossen in die öffentlichen Haushalte. In den Folgejahren kam es zu einer Erholung, aber erst im Jahr 2011 konnten wieder 1,9 % bzw. 1,3 Mrd. Euro mehr Steuereinnahmen als 2008 verzeichnet werden. Nach einzelnen Steuertypen unterschieden …

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  • … führten Banken- und Wirtschaftskrise vor allem bei der Körperschaftssteuer („Gewinnsteuer“ für Kapitalgesellschaften wie AG und GmbH, 2009 alleine ein Minus von 35 %) zu konjunkturellen Einbrüchen bis auch 2011 noch nicht ganz ausgeglichen waren
  • …  legten Einnahmen aus der Lohnsteuer zwischen 2008 und 2011 um 2,2 % zu
  • … verzeichneten Zuwächse aus der Umsatzsteuer bezogen auf 2008 ein sattes Plus von 12,5 %

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Entwicklung Staatsschuldenquote

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Die Staatsschulden erhöhten sich von 2008 bis 2011 um 8,4 % von 63,8 % auf 72,2 %. Im europäischen Vergleich lag der überwiegend krisenbedingte Schuldenzuwachs deutlich unter dem Durchschnitt (EU 27: + 20 %, Euroraum: + 17,1 %) und um 15 %-Punkte unter dem Schuldenstand des Euroraum (Staatsschuldenquote Euroraum 2011: 87,2 %, EU-27: 82,5 %). Hinter Estland, Luxemburg und den Niederlanden verzeichnete Österreich den viertschwächsten Staatsschuldenzuwachs.

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Konjukturbelebende Maßnahmen

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Den Löwenanteil konjunkturbelebender Maßnahmen („Konjunkturpakete“) machte die „Steuerreform 2009“  aus (Tarifsenkungen sowie steuerliche Förderung von Familien). Ziel dieser Steuerreform war die Stärkung des Konsums. Entsprechend war die Tarifentlastung mit rund 2,3 Mrd. Euro veranschlagt, das Familienpaket mit 500 Mio. Euro. Das Finanzministerium veranschlagte das Abgabenminderaufkommen aus dieser Reform auf ca. 2,1 Mrd. Euro 2009, knapp über 2,8 Mrd. Euro 2020 und schließlich rund 3 Mrd. Euro ab 2011.

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Das Konjunkturpaket I (Oktober 2008) wurde in einem Umfang von insgesamt 2,2 Mrd. Euro (1,120 Mrd. Euro 2009, 1.110 Mrd. Euro 2010) geschnürt. Dabei entfielen auf „öffentliche Investitionen“ allerdings lediglich 225 Mio. Euro (2009: 235 Mio. Euro, ), auf Unterstützungen für Unternehmen (Haftungen, zinsvergünstigte Kredite …) über 800 Mio. Euro.

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Das Konjunkturpaket II (Dezember 2008) umfasste ein Volumen von 1,6 Mrd. Euro (650 Mio. Euro 2009, 965 Mio. Euro 2010) und Maßnahmen wie thermische Sanierung (100 Mio. Euro), vorgezogene Neubauten, Sanierungen und Instandhaltungen von Bundesgebäuden (rund 875 Mio. Euro), regionale Beschäftigungsprogramme (150 Mio. Euro) sowie das kostenlose Kindergartenjahr (140 Mio. Euro).

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Insgesamt beliefen sich  die konjunkturbelebenden Maßnahmen für die Krisenjahre 2009/2010 insgesamt 12 Mrd. Euro.

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Arbeitslosigkeit

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Die Arbeitslosenrate ist seit dem letzten Vorkrisenjahr 2008 bis 2012 um 26,5 % (August 2008 bis August 2012 von 183.929 auf 232.661 Personen) gestiegen. Im August 2012 waren damit fast 49.000 Personen mehr arbeitslos als noch im Vergleichsmonat 2008.

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Im vierten Quartal 2009 wurde die österreichische Bevölkerung mit dem bisher höchsten Arbeitslosigkeitsniveau konfrontiert: die Arbeitslosenrate erreichte 5,1 % was gegenüber dem Vorjahr einen Zuwachs von 1,4 Prozentpunkte bedeutete. Im Juni 2009 waren um rund 57.000 mehr Personen arbeitslos als ein Jahr zuvor. Seither ist die Arbeitslosenquote seit Juni 2011 wieder auf rund 4 % zurückgegangen. Der „Vorkrisenstand“ ist allerdings nicht erreicht – vielmehr ist für 2013 wieder eine Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation zu befürchten.

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Die durchschnittliche Höhe der Arbeitslosengeldes lag dabei im Mai 2012 838,40 Euro (Mai 2009: 806,30 Euro, Mai 2008: 757,20 Euro), die durchschnittliche Höhe der Notstandshilfe betrug im Mai 2012 689,30 Euro (Mai 2009: 608,60 Euro, Mai 2008: 629,10 Euro).

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Arbeitszeit/Arbeitszeitvolumen

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Der krisenbedingte Rückgang der Beschäftigung ging beinahe ausschließlich auf Kosten der Vollzeitbeschäftigten: während im 3. Quartal des Krisenjahres 2009 um 2 % weniger unselbständig Erwerbstätige vollzeitbeschäftigt waren, stieg im gleichen Zeitraum die Teilzeitbeschäftigung um 6 % auf fast 860.000 Personen an. Waren zu Krisenbeginn vor allem vollzeitbeschäftigte Männer betroffen war zuletzt ein höherer Rückgang bei der Frauenvollzeitbeschäftigung beobachtbar: Während die Anzahl vollzeitbeschäftigter Männer für den Zeitraum 2008 bis 2012 (Vergleichswerte gelten fürs  2. Quartal) in Summe annähernd konstant geblieben ist, ging jene der Frauen um – 0,8 % geringfügig zurück. Insgesamt sank die Vollzeitbeschäftigung im Vergleichszeitraum geringfügig um – 0,3 %.

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Im Gegensatz dazu stieg der Anteil der Teilzeitbeschäftigten – um gleich 13,3 %: bei den Frauen um 13,3 %, bei den Männern um 21,7 %. Allerdings: während 2012 45,6 % aller weiblichen ArbeitnehmerInnen teilzeitbeschäftigt sind sind es bei den Männern gerade einmal 7,7 %. Die Teilzeitquote (im Verhältnis zu allen unselbständig Beschäftigten) stieg von 2008 bis 2012 um 2,4 %-Punkte (Frauen: + 3 %-Punkte, Männer: + 1,3 %-Punkte).

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Hinsichtlich des Arbeitsvolumens (tatsächlich geleistete Arbeitszeit der unselbständig Beschäftigten in Mio. Stunden) ist dieses seit Ausbruch der Krise – also von 2008 bis 2012 – um 4,5 % von 1.539,7 Mio. Stunden auf 1.469,9 Mio. Stunden zurückgegangen. Dabei ist das Arbeitsvolumen der Männer deutlicher (- 5,3 %) als jenes der Frauen (- 3,2 %) gesunken. Während das Arbeitsvolumen der Vollzeitbeschäftigten 2012 (2. Quartal) um 6,4 % unter jenem des Jahres 2008 liegt, ist das Arbeitsvolumen der Teilzeitbeschäftigten um 7,8 % gestiegen (Männer: + 19,9 %, Frauen: + 5,9 %).

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Armut und soziale Ausgrenzung

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In Österreich beträgt die Zahl der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdeten etwa 1,4 Millionen Personen oder 17 % der Gesamtbevölkerung (EU-27-Schnitt: 23 %). Niedrigere Armutsquoten als Österreich weisen  Tschechien, Schweden und die Niederlanden auf.

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Als Armut bzw. sozialer Ausgrenzung bedroht gelten dabei Personen, auf die zumindest eines der folgenden Merkmale zutrifft:

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  • Personen, die in einem Haushalt leben, dessen gewichtetes“ Einkommen („Äquivalenzeinkommen“) unter 60 % des nationalen (Haushalts-)Medianeinkommens liegt (= „Armutsgefährdung“)
  • Personen, die in Haushalten leben, auf die vier von neun Merkmalen „erheblicher materieller Deprivation“ aufweisen (z.B. Zahlungsrückstände bei Miete, Betriebskosten und Krediten, Waschmaschine/Farbfernseher/Telefon/Mobiltelefon/Auto nicht leistbar, Unfinanzierbarkeit unerwarteter Ausgaben, Unfinanzierbarkeit einer ausgewogenen, fleisch-, fischhaltiger oder vergleichbarer vegetarischer Ernährung etc.)
  • Unter-60jährige Personen die in Haushalten mit niedriger bzw. keiner Erwerbstätigkeit leben (Erwerbstätigkeit die unter 20 % des Erwerbspotential liegt)

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Entwicklung der armuts- und ausgrenzungsgefährdeten Gruppen in den ersten Krisenjahren. Grafik: Sozialbericht 2011 - 2012, S 271

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In Österreich (Gruppen überschneiden sich) …

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  • trifft dabei das Merkmal „Armutsgefährdung“ auf 1,004 Mio. Menschen zu (ca. 12 % der Bevölkerung)
  • leben 497.000 Personen  in Haushalten mit keiner oder sehr geringer Arbeitsintensität (6 % der Gesamtbevölkerung)
  • leben 355.000 Personen  in Haushalten mit erheblicher materieller Deprivation (4,3 % der Bevölkerung)
  • sind 99.000 Personen von allen drei Merkmalen betroffen
  • leben 166.000 Personen in Haushalten mit Armutsgefährdung und niedriger/keiner Arbeitsintensität
  • und 97.000 Menschen in Haushalten die armutsgefährdet und materiell depriviert sind
  • sind 641.000 Personen armutsgefährdet ohne gleichzeitig materiell depriviert und nur gering/nicht erwerbstätig zu sein

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Zwar liegt – trotz Krise –  die Armutsgefährdungsquote mit 12 % überraschenderweise nahezu unverändert auf Vorkrisenniveau, die Zahl der Armuts- und Ausgrenzungsgefährdeten ist seit 2008 sogar geringfügig um 1,7 Prozentpunkte gesunken. Allerdings hat sich – über einen längeren Zeitraum betrachtet (seit 2005) – sowohl die Zahl der „manifest Armen“ (armutsgefährdet und materiell depriviert) von 4,6 % auf 6,2 % erhöht – als auch jene der „verfestigt“ deprivierten – also jener Personen, die  über  aufeinander folgenden Perioden materielle depriviert waren. Die Anzahl dieser  Personengruppe hat sich von 5,1 % auf 10,6 % der Bevölkerung verdoppelt!

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Seit 2005 steigen "manifeste Armut" und "verfestigte Deprivation". Grafik: Sozialbericht 2011 - 2012, S 285

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Die Zahl der MindestsicherungsbezieherInnen belief sich im September 2012 auf 149.729 Personen. Von Dezember 2008 bis 2011 ist die Zahl der MindestsicherungsbezieherInnen um 37 % gestiegen. Diese Zahl ist allerdings hinsichtlich ihrer Aussagekraft mit Vorsicht zu genießen da sich mit der Einführung der Mindestsicherung die statistische Erfassung der BezieherInnen im Vergleich zur Sozialhilfe deutlich verbessert hat sowie mit niedrigeren Zugangsbarrieren sowie verstärkter Informationsarbeit die Zielgruppe besser erreicht werden konnte und entsprechend eine höhere Inanspruchnahme zu verzeichnen war. Allerdings: es gibt schlichtweg auch „steigende Zahl von Personen in verschärften Armutslagen auf welche ein Teil des Anstiegs der BMS-BezieherInnen zurückgeführt werden kann.“

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Abschließend hält der Sozialbericht in diesem Kapitel fest:

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„Jener Bevölkerungsanteil in Österreich , der von Armuts- und sozialer Ausgrenzungsgefährdung betroffen ist, hat sich im Verlauf der Krise nicht erhöht, sondern ist tendenziell zurückgegangen. Im europäischen Vergleich stellt diese Entwicklung ein Beispiel dar, wie umfassend wirkende Sozialschutzsysteme vor allem auch die am meisten gefährdeten Gruppen der Gesellschaft vor einem krisenbedingten Abrutschen in die Armutsfalle bewahren können.“

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Link: BMASK, Sozialbericht 2011 – 2012

 

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