Stellungnahme des BMASK: Visionslose Resignation
2. Oktober 2014 von adminalternative
Als zuständiges Fachministerium hat das mit dem Sozialdemokraten und Ex-ÖGB Präsidenten Hundstorfer besetzte Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz – kurz BMASK – Stellung zu den Anliegen der BürgerInneninitiative (BI) „Arbeitszeit FAIRkürzen, Arbeit FAIRteilen“ bezogen. Eine Stellungnahme wie die Sozial- und ArbeitnehmerInnenpolitik der SPÖ: visionslos und resignativ. Ein Glück, dass Alfred Dallinger das nicht mehr erleben musste …
Arbeitszeitverkürzung? „Derzeit nicht realisierbar“
Was erfreulich ist: Das BMASK bekennt sich in seinem Schreiben „grundsätzlich zum langfristigen Ziel einer Arbeitszeitverkürzung.“ Dann folgen allerdings jede Menge Bedenken und „geht nicht“, welche das grundsätzliche Bekenntnis doch ganz ordentlich relativieren.
„Eine generelle gesetzliche Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 35 Wochenstunden ist derzeit nicht realisierbar,“ heißt es da etwa und dass „ein voller Lohnausgleich … zum derzeitigen Zeitpunkt nicht durchsetzbar“ sei. Im Sozialministerium setzt man daher weniger auf den Gesetzgeber, denn auf die Sozialpartner: Die sollen doch bitte Arbeitszeitverkürzung auf Branchenebene durchführen und die „besonderen Bedürfnisse und Gegebenheiten“ dort berücksichtigen. Zusätzlich sei die Verkürzung der Normalarbeitszeit von acht auf sieben Stunden in der „Praxis in manchen Fällen auch nur schwer durchzuführen“, etwa bei Schichtmodellen mit drei Schichten von jeweils acht Stunden.
Wir halten zu den angeführten Bedenken fest:
- Die Realisierbarkeit einer Arbeitszeitverkürzung ist natürlich eine Frage politischer Mehrheitsverhältnisse. Aber auch eine Frage politischen Willens. Würde eine Arbeitszeitverkürzung tatsächlich gewollt, würde ja eine entsprechende breite Debatte ausgelöst, insbesondere auch hinsichtlich Rahmenbedingungen, welche eine solche erfolgreich machen könnte. Erfahrungen gäbe es – ob Kurzarbeit oder Solidaritätsprämienmodelle, diese Formen der Arbeitszeitverkürzung waren hinsichtlich der Beschäftigungssicherung außerordentlich erfolgreich. Gerade in der Krise, in einer wirtschaftlich alles andere als leichten Zeit! Darauf könnte aufgebaut werden. Von „nicht realisierbar“ kann daher tatsächlich keine Rede sein. Vielmehr von mangelnder Bereitschaft weiter- und vorauszudenken.
- Dass ein voller Lohnausgleich „derzeit nicht durchsetzbar“ wäre, ist ebenso zu hinterfragen. Faktum ist: Spätestens seit Mitte der 90er Jahre tut sich eine enorme Lücke bei der Entwicklung der Produktivität und der Reallöhne auf. Während die Produktivität je Beschäftigten von 1994 bis 2012 um knapp 24 Prozent gestiegen ist, stiegen die Bruttoreallöhne um lediglich 5 Prozent. Die Nettoreallöhne sind dagegen sogar um 0,5 Prozent geschrumpft! Würde die Arbeitszeit also um knapp über 10 Prozent verkürzt – eben auf besagte in der BI geforderte 35 Stunden/Woche – hätten sich die ArbeitnehmerInnen diese Verkürzung längst erarbeitet. Und das bei vollem Lohnausgleich. Betriebe bzw. Branchen, für die eine Arbeitszeitverkürzung ökonomisch schwerer verkraftbar wäre, könnten über entsprechende arbeitsmarkt- bzw. steuerpolitische Maßnahmen unterstützt werden – z.B. über eine befristete Co-Finanzierung aus frei werdenden Mitteln des AMS aufgrund sinkender Arbeitslosigkeit, über eine wertschöpfungsbasierte Finanzierung sozialer Sicherungssysteme oder eine sozial-ökologische Steuerreform, die Arbeit entlastet und Ressourcenverbrauch höher besteuert. Dass eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich nicht ohne Widerstand abgehen wird, ist nun mal so. Jede Umverteilungsmaßnahme hat noch Widerstände ausgelöst. Insbesondere, wenn die Kapitalseite negativ betroffen ist. Die Behauptung, dass eine Arbeitszeitverkürzung derzeit „nicht durchsetzbar“ wäre, ist jedenfalls ausgesprochen defensiv und vor dem Hintergrund der Produktivitäts- und Einkommensentwicklung der letzten Jahrzehnte schon gar nicht zwingend.
- Dass einer Arbeitszeitverkürzung auf Branchenebene gegenüber einer allgemeinen auf gesetzlicher Ebene Vorzug zu geben ist, ist ebenso wenig nachvollziehbar und auch nicht schlüssig. Demnach hätte es nämlich auch keine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung auf 40 Stunden/Woche bzw. 8 Stunden/Tag geben dürfen. Denn mit Sicherheit gab es auch schon damals (wie bei jeder Arbeitszeitverkürzung zuvor) jede Menge Einwände dagegen von Unternehmensseite ähnlich denen, wie sie heute kurioserweise vom BMASK vorgebracht werden. Und es würde vermutlich heute noch keine allgemeine Arbeitszeitverkürzung und 40-Stunden-Woche als Normarbeitszeitstandard geben …. Eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung wie in der BI gefordert würde nicht mehr und nicht weniger als einen neuen gesetzlichen Rahmen, einen neuen verkürzten Vollzeitstandard für daran anknüpfende kollektivvertragliche Arbeitszeitregelungen schaffen – wie eben bei Einführung der 40-Stunden-Woche vor beinahe 40 Jahren. Dass für bestimmte Branchen, bestimmte Arbeitszeitmodelle und spezifische Berufsgruppen der Kollektivvertrag ermächtigt wird, auch von der gesetzlichen Norm abzuweichen, solange das Verbesserungsgebot eingehalten wird, ist bereits gängige Praxis und würde sich nicht zwangsläufig ändern. Auch heute sind im Arbeitszeitgesetz in bestimmten Fällen Abweichungen von gesetzlichen Höchstarbeitsstandards möglich. Warum sollte das bei einer 35-Stunden-Woche und einem 7-Stunden-Normalarbeitstag plötzlich grundlegend anders sein?
- Die Ursache vieler gesellschaftliche Probleme wie Arbeitslosigkeit, „working poor“, zunehmender Arbeitsdruck, die Zunahme berufsbedingter physischer und psychischer Erkrankungen sowie der weit verbreitete Zeitnotstand ist in der ungleichen Verteilung von Arbeit und einem tief gespaltenem Arbeitsmarkt zu suchen. Hier Arbeitslosigkeit, boomende Teilzeit und geringfügige Beschäftigung, dort Überstunden ohne Ende und ausufernde Arbeitszeitung bei Vollzeit. Ein Lösungsansatz für diese gesellschaftlichen Problemlagen kann nur auf einer gesamtgesellschaftlichen – gesetzlichen – Ebene erfolgen und nicht auf einer branchenspezifischen – kollektivvertraglichen. Gesellschaftspolitische Herausforderungen können nicht auf Branchenebene gelöst werden. Das ist unzulässig und unsinnig. Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung und die damit verbundene Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen allen ArbeitnehmerInnen zugute kommen. Dem Beschäftigten der Elektroindustrie genauso wie der Altenpflegerin. Arbeitslosigkeit, Zeitnotstand, Arbeitsdruck usw. lassen sich nicht auf eine Branche eingrenzen. Ein neuer, moderner und verkürzter Vollzeitstandard der für alle ArbeitnehmerInnen gilt, kann daher nur vom Gesetzgeber beschlossen werden. Für die branchenspezifische Ausgestaltung neuer Arbeitszeitnormen sind die Kollektivverträge zuständig. Ihnen kommt damit eine bedeutende Funktion zu, die allerdings jene des Gesetzgebers nicht ersetzen kann. Zusätzlich sei darauf hingewiesen, dass die Kollektivvertragsdichte in Österreich zwar hoch ist, allerdings Berufsgruppen ohne Kollektivvertrag sowie solche mit Dienstrecht auf Gesetzesebene (z.B. öffentlich Bedienstete, Post- und Telekombeamte, Gemeindebedienstete) von kollektivvertraglichen Vereinbarungen hinsichtlich einer Arbeitszeitverkürzung nicht profitieren.
- Was natürlich mit einer Arbeitszeitverkürzung ausdrücklich bezweckt wird: Dass sich Arbeitsbedingungen und Produktionsabläufe an die neuen arbeitszeitlichen Rahmenbedingungen anpassen müssen. Arbeitszeitverkürzung war seit jeher ein Mittel zur Humanisierung der Arbeitswelt. Ist Arbeitszeitverkürzung in „der Praxis in manchen Fällen“ schwer umzusetzen muss daher zuallererst die Frage gestellt werden, ob diese Praxis denn überhaupt beibehalten werden soll bzw. diese nicht ohnehin schon längst überholt ist. Andernfalls muss sie entlang neuer Standards gestaltet und verändert werden. Einmal mehr gibt es nicht zuletzt genau dafür Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen. Wenn von ArbeitnehmerInnen ständig Flexibilität und Anpassung an wirtschaftliche bzw. innerbetriebliche „Notwendigkeiten“ eingefordert wird – warum soll „mehr“ Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an in diesem Falle eben „neue“ Arbeitszeitvorgaben ausgerechnet für Betriebe nicht gelten? Nicht nur Branchen haben „Bedürfnisse“. Sondern insbesondere auch ArbeitnehmerInnen. Und insbesondere auf diese Bedarfslagen sollte ein Arbeits- und Sozialministerium eigentlich ein besonderes Augenmerk haben.
Herabsetzung von Höchstarbeitszeiten? „Nicht durchsetzbar“
Hinsichtlich der Forderung auf Herabsetzung der täglichen Höchstarbeitszeit von 10 auf 9 Stunden hält des BMASK ebenfalls fest, dass dies „derzeit nicht durchsetzbar“ sei. Man liege bereits unter der EU-Grenze von 10 Stunden. Hält das BMASK zwar eine Reduktion der täglich maximal zulässigen Höchstarbeitszeit für „nicht durchsetzbar“, hält das Ministerium eine Verminderung der tatsächlich geleisteten Überstunden „vordringlicher“. Aha. Als ob das nicht zusammenhängen würde. Einmal mehr lässt das nur den Schluss zu: An den gesetzlichen Regelungen soll sich nichts ändern. Die täglichen Höchstarbeitszeiten und die bestehenden Übestundenregelungen sollen bleiben wie sie sind. Aber die Überstunden sollen reduziert werden. Noch einmal: Aha. Das Ministerium lässt eine/n einmal mehr erstaunt und etwas ratlos zurück.
Zusätzlich führt die Stellungnahme an, dass bei einem 9-Stunden-Höchstarbeitstag „auch bestehende Ausnahmen (Höchstarbeitszeit bei Arbeitsbereitschaft, bei Schichtwechsel, vorübergehenden besonderem Arbeitsbedarf, Anm.) von den Höchstgrenzen der Arbeitszeit berücksichtigt werden, die nicht ohne weiteres abgeschafft werden können.“
Zuletzt weist das BMASK darauf hin, dass die EU-Lenkzeiten-Verordnung zweimal wöchentlich eine tägliche Lenkzeit von 10 Stunden erlaubt, die in der BI vorgesehene Höchstarbeitszeit allerdings maximal 9 Stunden vorsieht. Und – sinngemäß beinahe im Tonfall einer gewissen moralischen Entrüstung– dass es wohl nicht angehen könne, dass die „zulässige gesamte Arbeitszeit etwa von Büroangestellten“ unter jener von LenkerInnen liegen dürfe, „von denen den ganzen Arbeitstag über höchste Konzentration erwartet wird“ und bei denen Unkonzentriertheit „gravierende Folgen haben kann.“
Wir halten fest:
- Eine Arbeitszeitverkürzung kann nur funktionieren, wenn auch das Ausmaß an Überstunden reduziert wird. Dafür gibt es eben einen gesetzlichen Rahmen, der die Anzahl an Überstunden, die maximal geleistet werden dürfen, festlegt. Dieser Rahmen definiert auch die maximal zulässige tägliche Höchstarbeitszeit bzw. Wochenarbeitszeit. In unserer BürgerInneninitiative fordern wir die Reduktion auf 9 bzw. 45 Stunden. Das wäre eine nicht unwesentliche Maßnahme – aber natürlich nicht die einzige – um die Anzahl „in der Praxis geleistete(r) Überstunden“ zu verringern, weil sie zulässige Überstundenleistungen auf niedrigerem Niveau begrenzt. Warum das BMASK Überstunden aus „sozialpolitischer und arbeitsmedizinischer“ Sicht zwar reduzieren, gleichzeitig aber bestehende Höchstarbeitsgrenzen lassen will, wie sie sind, ist nicht nachvollziehbar. Gerade aus einem sozialpolitischen und arbeitsmedizinischen Blickwinkel heraus.
- Dass allgemein gültige Regeln auch Ausnahmen kennen bzw. kennen müssen, die sich aus praktischen Erfordernissen oder produktionsbedingte Notwendigkeiten ergeben können, ist eine Binsenweisheit. Entsprechend wird natürlich auch ein 9-Stunden-Höchstarbeitstag Ausnahmen – wo sie sachlich gerechtfertigt sind und nicht zulasten der ArbeitnehmerInnen und deren Erholungs- und Freizeitbedürfnis gehen – zulassen. Das ist bekanntlich auch heute schon so. „Bestehende Ausnahmen“ werden sich allerdings auch neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen anpassen müssen, wie sie sich auch bei Einführung der 40 Stunden Woche anpassen mussten. Warum ausgerechnet Arbeitszeiten und spezifische Arbeitszeitmodelle für alle Ewigkeit Gültigkeit haben sollten, wo doch sonst so gut wie alles Veränderungsprozessen unterworfen ist, bleibt ein Rätsel. Veränderungen sind schließlich keineswegs zwingend eine Katastrophe – nicht einmal in Österreich – sondern würden gerade im Falle von Arbeitszeitverkürzung sogar – ganz im Gegenteil – zu humaneren, moderneren und produktiveren Arbeitsbedingungen führen. „Bestehende Ausnahmen“ sind jedenfalls eine schlechter Grund für Ablehnung einer gesetzlichen Reduktion von Höchstarbeitszeiten.
- Geradezu kurios, um es freundlich auszudrücken, wirkt zuletzt angeführtes „Argument“, dass es ja wohl nicht anginge, dass die Höchstarbeitszeiten von Büroangestellten unter den Arbeitszeiten von LenkerInnen liegen würden. Würde dieser Gedankengang konsequent weitergedacht, müssten aus „Gerechtigkeitsgründen“ allgemein gültige zulässige Höchstarbeitszeiten jenen angepasst werden, die unter besonders harten und erschwerten Bedingungen mit entsprechend langen Arbeitszeiten arbeiten. Folgt man dieser Logik weiter, müssten sämtliche sozial und arbeitsrechtliche Standards entsprechend jenen angepasst werden, die unter dem meisten Arbeits-, Zeit- und Leistungsdruck stehen. Ein natürlich vollkommen absurdes Denken, das tatsächlich jede Form gesellschaftlichen Fortschritts bei sozialer Sicherheit, Einkommen, Arbeitsbedingung und Arbeitszeiten verunmöglichen würde. Weil es vermutlich immer Gruppen gibt, die hinsichtlich Einkommen und Arbeitszeiten bei gleichzeitig körperlich bzw. psychisch anstrengender Betätigung schlechter gestellt sind als dahingehend „privilegiertere“ Berufsgruppen. Warum eine derartige Denke allerdings ausgerechnet in die Stellungnahme eines Arbeits- und Sozialministeriums einfließt, wirft dann doch einige Fragen auf, die ans Grundsätzliche gehen. Denn: Gefordert wäre tatsächlich – gerade von einem Sozial-und Arbeitsministerium – benachteiligte, besonders gefährdete oder belastete Berufsgruppen, hinsichtlich Arbeitszeiten und Einkommen besser zu stellen, um so menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen herzustellen. Statt unter dem Vorwand der aktuellen Schlechterstellung einzelner Berufsgruppen Forderungen nach einer allgemeinen Besserstellung als geradezu „amoralisch“ hinzustellen …
Überstunden verteuern? „Senkung der Lohnnebenkosten“ angestrebt
Wie bereits erwähnt, sieht das BMASK „aus sozialpolitischer und arbeitsmedizinischer Sicht“ die Verminderung „der in der Praxis geleisteten Überstunden“ vordringlicher als die Herabsetzung der Höchstarbeitszeit. Abgesehen davon, dass das eine mit dem anderen tatäschlich eng zusammenhängt: Was tun, wenn eine gesetzliche Reduktion gesetzlicher Höchstarbeitszeiten nicht angestrebt wird? Die Verteuerung der Überstunden wäre eine Möglichkeit. Überstunden würden so für die Unternehmen unattraktiver werden. Wir haben dazu progressiv steigende Zuschläge zu den Arbeitgeberbeiträgen zur Arbeitslosen-, Unfall- und Krankenversicherung vorgeschlagen. Das will das BMASK allerdings auch nicht, weil im Regierungsprogramm „eine Senkung der Lohnnebenkosten“ angestrebt wird. Zusätzlich führt das Ministerium verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine „beitragsrechtliche Ungleichbehandlung einzelner Entgeltbestand“ ins Treffen.
Wir meinen dazu:
- Die verfassungsrechtlichen Bedenken erschließen sich uns nicht. Der ÖGB-seitig geforderte „Überstunden-Euro“ des ÖGB – der ebenfalls der Kranken- und Arbeitslosenversicherung zugute kommen soll – stellt ein ähnlich gelagertes Instrument dar, wenn auch ohne Progressionscharakter. Beim Konzept „Überstunden-Euro“ soll für jede zusätzlich geleistete Überstunde ein Euro Zuschlag geleistet werden. Gezahlt vom Arbeitgeber. Wir wollen progressiv steigende Zuschläge als Lenkungsabgabe, um ausufernde, vom Arbeitgeber selbst angeordnete Überstunden einzudämmen.
- Wenn allerdings grundsätzlich eine „Senkung der Lohnnebenkosten“ angestrebt wird, wäre eine Verteuerung von Überstunden natürlich keine geeignete Maßnahme. Allerdings ist gerade im Falle progressiv steigender Zuschläge zu Arbeitgeberbeiträgen die Entwicklung der Lohnnebenkosten in hohem Maße von vom Unternehmen selbst beeinflussbar – ist sie doch Folge angeordneter Überstunden. Werden statt zusätzlicher Überstunden mehr Beschäftigte eingestellt, reduzieren sich die Zuschläge bzw. fallen diese vollkommen weg. Greift der Betrieb auf Überstundenleistungen zurück fallen höhere Kosten an, nicht zuletzt um die aus Überstunden resultierenden Folgekosten für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft (höhere Arbeitslosigkeit, höher Unfallgefahr) abzugelten. Das ist nur gerecht.
- Zusätzlich ist gar nicht unwahrscheinlich, dass sich die „Lohnnebenkosten“ eines Unternehmen nicht zuletzt als Folge progressiv steigender Überstundenzuschläge in eine ganz andere Richtung entwickeln, als vom BMASK befürchtet: Weniger Überstunden, bzw. kürzere Arbeitszeiten führen tendenziell zu geringeren Krankenständen, weniger Unfällen und Personalausfällen, zu höherer Arbeitszufriedenheit und höherer Produktivität und damit zu geringeren Kosten für das Unternehmen. In Summe kann die Folge progressiver Überstundenzuschläge also tatsächlich eine sinkende Lohnnebenkostenbelastung insgesamt sein.
Zusammenfassend muss festgehalten werden: Vom grundsätzlichen Bekenntnis zum „langfristigen Ziel einer Arbeitszeitverkürzung“ seitens des Arbeits- und Sozialministeriums bleibt nach Durcharbeiten der Stellungnahme nichts übrig. Vielmehr „erklärt“ das BMASK was denn alles nicht ginge, was denn alles nicht „durchsetzbar“ sei und warum. Viele „Argumente“ wirken dabei vorgeschoben und richten sich tatsächlich über weite Strecken gegen sich selbst. Es bleibt der Eindruck, dass es schlichtweg an gutem Willen mangelt, nichts mehr ginge, man aufgegeben hätte. 40 Jahre nach der letzten gesetzlichen Arbeitszeitverkürzung und 31 Jahre nach dem ÖGB-Grundsatzbeschluss für eine 35-Stunden-Woche fehlt nicht nur jede Vision, wie denn ein künftiges Arbeitszeitregime auf verkürztem Vollzeitstandard aussehen könnte. Vielmehr wird im Namen des ehemaligen ÖGB-Präsidenten und aktuellen sozialdemokratischen Sozial- und Arbeitsministers eine Stellungnahme zum Thema Arbeitzeitverkürzung abgegeben, die einer sozialpolitischen Kapitulation entspricht, für die Bezeichnungen wie „defensiv“, „visionslos“ und „resignativ“ bestenfalls Hilfsausdrücke sind. Wirklich: Ein Glück, dass Alfred Dallinger …
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Link: Stellungnahme des BMASK zur BürgerInneninitiative „Arbeitszeit FAIRkürzen. Arbeit FAIRteilen.“