Türkis-Grün: Bekämpfung „staatsgefährdender“ Vereine demokratiepolitisch bedenklich


ÖVP-Pläne, Vereine wegen „Unvereinbarkeit“ mit der verfassungsrechtlichen Grundordnung aufzulösen, gefährden die demokratische Willensbildung.

Die ÖVP hat es im Wahlkampf zur Koalitionsbedingung gemacht: Das Verbot sogenannter „staatsgefährdender“ Vereine. Als Begründung dienten ihnen die rechtsextremen Identitären. Anfangs erschien es noch als Geplänkel zwischen den alten Koalitionspartnern. Die FPÖ musste ausrücken, um die Identitären zu verteidigen. ÖVP-Klubchef Wöginger konterte, es sei „besonders pikant“, dass „ausgerechnet Herbert Kickl nun zum obersten Schutzpatron der Identitären“ werde. Aber jetzt findet sich die Forderung der ÖVP auch im türkis-grünen Regierungsprogramm: „Maßnahmen setzen, um Vereine, die staatsfeindliches Gedankengut (so wie die Identitären) verbreiten, wirksam zu bekämpfen“.

 

Behördliche Auflösung und ein erster Vorstoß der ÖVP

Vereine können nach geltendem Recht dann behördlich aufgelöst werden, wenn sie gemäß § 29 des Vereinsgesetzes (VerG) gegen Strafgesetze verstoßen, ihren statutenmäßigen Wirkungskreis überschreiten oder überhaupt den Bedingungen ihres rechtlichen Bestands nicht mehr entsprechen.

In einem selbstständigen Antrag brachte die ÖVP eine nicht angenommene Abänderung des Vereinsgesetzes im Nationalrat ein. So soll ein Verein auch dann behördlich ausgelöst werden, „wenn seine Ziele oder Handlungen mit der verfassungsrechtlichen Grundordnung nicht vereinbar sind“.

 

Die verfassungsrechtliche Grundordnung

Unter „verfassungsrechtlicher Grundordnung“ sind vor allem die Baugesetze der Bundesverfassung zu verstehen. Diese sind das „demokratische Prinzip“, das „rechtsstaatliche Prinzip“, das „republikanische Prinzip“ und das „bundesstaatliche Prinzip“.

Diese Grundprinzipien der österreichischen Verfassung sind im besonderen Maße geschützt. Für eine Abänderung dieser Prinzipien, was als „Gesamtänderung der Verfassung“ bezeichnet wird, „müssen ihr zunächst zwei Drittel der Abgeordneten des Nationalrates zustimmen. Darüber hinaus ist im Anschluss an das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren zwingend eine Volksabstimmung über den Änderungsvorschlag abzuhalten.“  Und diese Schutzmechanismen sind auch wichtig. Erinnert sei etwa an Herbert Kickls Infragestellung der Menschenrechte.

Sanktionierung lästiger Ideen?

Was die neue Regierung unter „Maßnahmen setzen, um Vereine, die staatsfeindliches Gedankengut (so, wie die Identitären) verbreiten, wirksam zu bekämpfen“ genau versteht, ist noch ungewiss. Wie eine solche „Bekämpfung“ aussehen kann, ebenso. Was aber auf dem Tisch liegt, ist der oben erwähnte Vorschlag der ÖVP, das Vereinsgesetz abzuändern, um so Vereine behördlich aufzulösen, die „mit der verfassungsrechtlichen Grundordnung nicht vereinbar sind“.

Was kann und muss man sich darunter vorstellen? Werden in Zukunft Vereine behördlich aufgelöst, die offen über die Zukunft der Demokratie nachdenken und eventuell zu dem Schluss kommen, dass andere Demokratieformen attraktiver sind? Es gibt Demokratiemodelle, die dem „republikanischen Prinzip“ widersprechen – etwa die Rätedemokratie. Aber auch die Infragestellung des „bundesstaatlichen Prinzip“, also Überlegungen, die Bundesländer aufzulösen oder zu reformieren, sind unvereinbar mit der verfassungsrechtlichen Grundordnung. Auch die Infragestellung des Rechts auf Privateigentum an Produktionsmitteln widerspricht (über die Zusatzvereinbarungen der EMRK und dem Staatsgrundgesetz) der verfassungsrechtlichen Grundordnung.

Man kann zu solchen Ideen stehen, wie man will. Man kann sie kategorisch ablehnen und politisch bekämpfen. Auch das gehört zu einem demokratischen gesellschaftlichen Diskurs. Wenn tatsächlich eine Gefahr von solchen Vereinen droht, sind die bestehenden Gesetze, wie das Sicherheitspolizeigesetz und das Polizeiliche Staatsschutzgesetz mehr als ausreichend – viele Fachkundige kritisieren sogar selbst diese Gesetze als überschießend. Sie erlauben polizeiliche Maßnahmen (wie die erweiterte Gefahrenforschung), wenn mit einer schweren Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu rechnen ist – insbesondere durch ideologisch oder religiös motivierter Gewalt (PStSG § 6).

Was die ÖVP aber andenkt, ist nicht die Gefahrenabwehr, sondern die Ideenabwehr.

„Kommt eh nicht“?

Bei der nicht weniger problematischen Sicherungshaft, argumentierten die Grünen, dass diese eine Verfassungsmehrheit bräuchte und die Grünen dafür nicht zur Verfügung stehen – die Sicherungshaft komme also nur dann, wenn sie entweder mit der jetzigen Verfassung konform ist oder sie komme gar nicht (wobei Vizekanzler Kogler im Doppelinterview in der ZIB Spezial vom 8. Jänner 2020 eine Zustimmung nicht ausschloss).

Die nationalsozialistische Schutzhaft kam nicht von einem Tag auf den anderen. Ihre Grundlage war die „harmlos“ klingende Schutzhaft des Königreichs Preußen. Denn auch trotz der qualitativen Unterschiede, folgte die Schutzhaft der Nazis der gleichen Logik wie die Schutzhaft des Königreichs Preußen

Für den oben dargestellten schwerwiegenden Eingriff in das Vereinsrecht, gibt es keine (dem Autor bekannte) ähnliche Position. Aber selbst wenn dem so wäre: die Frage ist nicht, wie die Grünen jetzt zu solchen Eingriffen in das Grundrecht stehen – hier sind die Grünen noch immer glaubwürdig, dass sie gegen solche Verschärfungen sind. Die viel spannendere Frage ist, wie stehen die Grünen dann dazu, wenn die ÖVP das in letzter Konsequenz durchsetzen will? Oder wenn die ÖVP schärferen Klimaschutzmaßnahmen nur dann zustimmt, wenn die Grünen dafür ihr OK für ein „Sicherheitspaket“ geben? Würden die Grünen dafür die Koalition gefährden oder doch zustimmen? Die Grünen stehen dann vor einem Dilemma: Einen schwerwiegenden Eingriff in die Freiheitsrechte zustimmen? Oder doch die Hoffnung auf dringend notwendige Klimaschutzgesetze?

Türen, die sich öffnen

Von den meisten Verfassungsexperten wird der ÖVP-Vorschlag zur Abänderung des Vereinsgesetzes als nicht verfassungskonform abgelehnt. Und doch werden mit solchen Überlegungen Türen geöffnet. So etwa ist das Vereinsrecht eng verbunden mit dem Versammlungsrecht. Im Staatsgrundgesetz heißt es: „Artikel 12. Die österreichischen Staatsbürger haben das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu bilden. Die Ausübung dieser Rechte wird durch besondere Gesetze geregelt.“ So ist ein leichtes, die ÖVP-Argumentation auch auf das Versammlungsrecht zu übertragen.

Solche Überlegungen sind natürlich verfassungswidrig und auch gegen die EMRK. Aber die Debatte zur Schutzhaft zeigt auch, dass Themen, die vor wenigen Jahren noch demokratiepolitisch undenkbar schienen, jetzt breit diskutiert werden. Selbst in der SPÖ, die es historisch eigentlich besser wissen sollte, gibt es einzelne Stimmen, wie den burgenländischen Landeshauptmann, der sich eine Sicherungshaft vorstellen kann. Selbst wenn mit den Grünen im Moment eine Sicherungshaft oder ein Eingriff in das Vereinsrecht nicht möglich erscheint, so provoziert allein die Nennung im Regierungsprogramm eine Diskussion in diese Richtung.

Der Anarchist Erich Mühsam wurde am 28. Februar 1933 von der SA in Schutzhaft genommen. Nach sechzehn Monaten tagtäglichen schweren Folterungen, bei denen Mühsam sich bis zuletzt standhaft weigerte, das Horst-Wessl-Lied zu singen, wurde Erich Mühsam am 10. Juni 1934 von SS-Angehörigen im KZ Oranienburg bestialisch ermordet. Die Nazipresse meldete: „Der Jude Erich Mühsam hat sich in der Schutzhaft erhängt.“

 

Rechtsextremismus bekämpfen, aber nicht mit Angriff auf Demokratie

Das NS-Verbotsgesetz verhindert effektiv ein Wiederauferstehen des Nationalsozialismus und seines Gedankengutes, zu einer relevanten Größe. Ein Gedankengut, das schon einmal ausgehend auch von Österreich zu Millionen Toten führte. Anhand der vielen, oftmals tagtäglichen Meldungen zu Verstößen gegen das NS-Verbotsgesetz kann mit Bertolt Brecht gesagt werden: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!

Aber entgegen den Verbrechen der nationalsozialistischer Wiederbetätigung, lassen sich rechtsextreme Tendenzen in der Gesellschaft nicht effektiv durch Verbote bekämpfen. Hier sind neben einer eindeutigen politischen Willensbekundung auch konkrete Maßnahmen, unter anderem in der Bildungsarbeit, notwendig. Aber ebenso Maßnahmen, die die Demokratie und die Teilnahme an der demokratischen Willensbildung stärken und nicht durch restriktivere Gesetze schwächen.

Die Freiheit, die die „Freiheitlichen“ meinen

Auffallend ist, dass die FPÖ plötzlich ihre Freiheitsliebe entdeckt und mit Meinungsfreiheit gegen die angedachte Bekämpfung von Vereinen mit sogenannten „staatsgefährdeten Gedankengut“ argumentiert. Fakt ist: Das Verständnis der FPÖ von „Freiheit“ ist ein völkisches Verständnis. Die „Freiheit“ des konstruierten eigenen „Volkes“ wird mythisch verklärt und wer als außerhalb der „Volksgemeinschaft“ stehend definiert wird, bekommt die ganze Härte der autoritären Unfreiheit der FPÖ zu spüren. Kaum eine Künstler*in, kaum einE Politiker*in oder politische Gruppe, die nicht schon mit freiheitlichen Hetztiraden bedacht wurde, weil sie nicht ihrem völkischen Politikverständnis entspricht.

Der FPÖ geht es nicht um Freiheit, sie will dumpf ihre Identitären verteidigen.

Ideen zulassen

Die bisherigen Auflösungsgründe für Vereine sind vollkommen ausreichend. Wenn ein Verein strafbare Handlungen setzt, dann wird die Behörde den Verein auflösen. Wenn angenommen wird, dass von Vereinen eine Gefahr ausgeht, ermächtig das PStSG zu polizeilichen Maßnahmen. Mit einem restriktiveren Vereinsgesetz wird man rechtsextremer Phänomene kaum habhaft werden, aber die Gefahr besteht, dass dadurch effektiv eine demokratische Willensbildung verhindert wird, die über das Bestehende hinausdenkt und die historisch auch immer in Vereinen erfolgte – etwa die Arbeiterbildungsvereine im 19. Jahrhundert.

 

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