Wiener Sozialbericht 2015 (II): Armut und Armutsgefährdung in Wien – Zahlen, Daten, Fakten

wiener_sozialbericht-2015_DB_150_swIm zweiten Teil werden die wesentlicher Ergebnisse des Wiener Sozialberichts zum Themenkomplex Armut und Armutsgefährdung in Wien zusammengefasst. Wer ist betroffen? Wie sieht die Einkommenssituation in Wien aus? In welchem Zusammenhang stehen Bildungsabschluss und Armutsgefährdung? Wirkt die Mindestsicherung gegen Armut?
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Armut und Armutsgefährdung
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2013 wiesen 22,7 % der Wiener_innen ein Haushaltseinkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle von 1.104 Euro/Monat aus. Die Armutsgefährdung ist dabei trotz Krise seit 2010 annähernd konstant geblieben. 2013 gab es damit 394.000 armutsgefährdete Wiener_innen, um 4 % mehr als noch 2008. Im Gegensatz dazu ist die Anzahl jener  Wiener_innen  „die keinen Mangel aufweisen“, im selben Zeitraum um 13 % gestiegen.

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  • Die „Armutsgefährdungslücke“ – also die Differenz zwischen der Armutsgefährdungsschwelle und dem durchschnittlichen Haushaltseinkommen armutsgefährdeter Personen – lag bei 265 Euro, also 24 %. Einem armutsgefährdeten Haushalt standen also durchschnittlich rund 839 Euro zur Verfügung.
  • Trifft Armutsgefährdung auf finanzielle Deprivation – also das Unvermögen, aus finanziellen Gründen am definierten Mindestlebensstandard teilnehmen zu können (z.B. die Wohnung angemessen heizen zu können, unerwartete Ausgaben finanzieren zu können, neue Kleidung zu kaufen, Zahlungen regelmäßig begleichen zu können etc.) –  wird von „manifester Armut“ gesprochen. Manifest arm waren 2013 200.000 Wiener_innen – 5 % mehr als noch 2010.
  • Als besonders armutsgefährdet gelten Haushalte mit einem nicht-österreichischen Haushaltsmitglied (Armutsgefährdung 41 %), Alleinerzieher_innen (Armutsgefährdung 44 %) und kinderreiche Familien (Armutsgefährdung 42 %).
  • Insbesondere beeinflusst Armut die Lebensbedingungen von Kindern. In Wien waren 2013 118.000 Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren armutsgefährdet – um 9 % mehr als vor Ausbruch der Krise 2008. Die Anzahl der Kinder, die BMS beziehen ist von 2008 bis 2013 um 83 % auf 52.265 Personen gestiegen. Wurden 2008 noch ein Viertel aller armutsgefährdeten Kinder durch die Mindestsicherung unterstützt, waren es 2013 bereits fast die Hälfte. Leistungen aus der Mindestsicherung kommen heute also deutlich mehr betroffenen Kindern zugute als noch vor mehreren Jahren.

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Mindestsicherung

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2013 bezogen in Wien insgesamt 153.434 Personen (2010: 106.675 Personen) Mindestsicherung. Dies entspricht gegenüber 2010 einer Steigerungsrate von knapp 47 %. Dabei erhielten 79.407 Frauen und 74.027 Männer Mindestsicherung. Damit beziehen in Wien rund 8,7 Prozent aller in Wien lebenden Personen eine Leistung aus der Mindestsicherung (2010: 6,3 %).

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  • Im Vergleich zu „Rest-Österreich“ ist der Versorgungsgrad armutsgefährdeter Personen durch die BMS in Wien besonders hoch: Während im Österreichschnitt nur knapp ein Drittel armutsgefährdeter Personen Mindestsicherung erhalten, sind es in Wien 55 % (Kärnten: 9%, NÖ: 22 %, OÖ: 16 %).
  • Ein Drittel der BMS (=Bedarfsorientierte Mindestsicherung)-Bezieher_innen waren Kinder, ein Fünftel nicht arbeitsfähig oder standen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. 8 % der BMS-Bezieher_innen waren erwerbstätig. Rund 39 % der Mindestsicherungsbezieher_innen – 59.000 Personen standen 2013 grundsätzlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.
  • Nur ein geringer Anteil – nämlich 13,8 % – der „arbeitsfähigen“ Mindestsicherungsbezieher_innen – sind „Vollbezieher_innen“, beziehen also neben der BMS kein weiteres Einkommen. Der überwiegende Anteil „arbeitsfähiger“ BMS-Bezieher_innen erhält Mindestsicherung als Ergänzungsleistung zu Erwerbseinkommen, Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe.
  • Jede/r fünfte Alleinerzieher_in und jede 14. Familie mit Kindern in Wien beziehen eine Leistung der BMS. Knapp 41.800 Kinder unter 15 Jahren bezogen 2013 BMS-Leistungen, weitere 8.330 waren Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren. Wien stellt für Kinder den höchsten Mindestsicherungsstandard in Österreich bereit und ist damit zu einer wichtigen Leistung zur Verhinderung von Kinder- bzw. Familienarmut geworden.
  • Die Mindestsicherung wird überhaupt immer „jünger“: 2013 waren 43 % aller Mindestsicherungsbezieher_innen jünger als 25 Jahre, 2010 lag der Anteil noch bei 40 %. Zurückzuführen ist dieser Anstieg u.a. auf den massiven Rückgang an Lehrstellen sowie auf die prekäre Einkommenssituation Jugendlicher: so liegt die Armutsgefährdung bei Jugendlichen trotz einer aufrechten Beschäftigung in Wien bei 21 %.
  • Die Bezugsdauer von Leistungen aus der BMS lag 2013 durchschnittlich bei 8,97 Monate. Die Bezugsdauer bei Vollbezugsleistung lag dabei bei 9,5 Monate, bei Bezug als Ergänzungsleistung bei 8,6 Monate. Die Bezugsdauer hat sich gegenüber 2010 leicht verlängert – eine Folge der krisenbedingt schwierigen Beschäftigungslage.

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Bildung

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In Wien hatten 2012 23,9 % aller Bürger_innen im Alter von 25 bis 64 einen tertiären Bildungsabschluss (Universität, Fachhochschule), 52,8 % einen Sekundarabschluss (Lehre, BMS/BHS/AHS-Abschluss) und 23,3 % maximal Pflichtschulabschluss. Im Unterschied zu Gesamtösterreich hat Wien einen höheren Anteil an Akademiker_innen (Ö: 15,9 %) und max. Pflichtschulabsolvent_innen (Ö: 19,1 %).

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  • Nach Geschlechtern hatten 25,1 % der Frauen und 22,6 Prozent der Männer einen Tertiärabschluss vorzuweisen, 49,9 % der Frauen und 55,9 % der Männer einen Sekundarabschluss und 25 % der Frauen und 21,5 % der Männer einen max. Pflichtschulabschluss. Besonders bemerkenswert ist das über die letzten Jahrzehnte veränderte Bildungsniveau der Frauen: waren 1971 gerade einmal  2,9 % der Frauen Akademikerinnen, hatten allerdings 52,1 % aller Frauen in Wien max. Pflichtschulabschluss, hat sich diese Situation bis 2012 grundlegend geänder. Der Akademikerinnenanteil hat sich beinahe verzehnfach, der Anteil der Frauen mit max. Pflichtschulabschluss sich dagegen mehr als halbiert.
  • Gering Qualifizierte waren 2013 nicht nur deutlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen (Arbeitslosenquote  Personen mit max. Pflichtschulabschluss: 29,2 %, mit Lehre: 8,6 %, mit Uni-Abschluss: 3,4 %) – das Qualifikations- und Bildungsniveau bestimmt auch wesentlich das Einkommen: so lag das mittlere Nettohaushaltseinkommen von max. Pflichtschulabsolvent_innen 2012 etwa bei 18.637 Euro –  rund 15 % unter den mittleren Einkommen aller Haushalte, jenes von Akademiker_innen bei 30.100 Euro – 38 % über dem Schnitt.
  • Personen mit max. Pflichtschulabschluss sind auch deutlich stärker von Armut trotz Arbeit („Working poor“) betroffen – vor allem in Wien. Während bundesweit 15 % aller Erwerbstätigen mit max. Pflichtschulabschluss mit einem Haushaltseinkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle auskommen mussten, lag der Anteil in Wien bei 25 %. Ein höheres Bildungs- bzw. Qualifikationsniveau wirkt tendenziell Armut  bzw. Armutsgefährdung entgegen.
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Einkommen

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Das durchschnittliche Wiener Haushaltsnettoeinkommen lag 2013 bei Euro 24.243 und ist seit 2010  geringfügig um 1,7 % gestiegen. Auch in Wien sind Einkommen sehr ungleich verteilt.

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  • Mehr als ein Drittel der Wiener_innen  – nämlich 34,1 % – gehören dem einkommensschwächsten Viertel aller Haushalte an. Dieser Anteil ist seit 2008 von knapp unter 32 % auf 37 % 2012 gestiegen, um bis 2013 wieder auf 34,1 % zu fallen. 22,7 % der Wiener_innen verfügten dabei – wie bereits erwähnt – über ein Haushaltseinkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle von 1.104 Euro.
  • 14 % aller Wiener_innen leben in den reichsten 10 % aller Haushalte. Ihr Anteil ist im Vergleich zu 2012 um zwei Prozentpunkte gestiegen.
  • Während Österreichische Staatsbürger_innen 2013 ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 25.216 Euro bezogen, lag jenes Nicht-österreichischer Staatsbürger_innen bei 20.441 Euro (EU/EFTA-Bürger_innen) bzw. bei 16.590 Euro (Drittstaatsangehörige).
  • 51 % aller Drittstaatsangehörigen sowie 43 % aller EU/EFTA-Bürger_innen zählen daher zum untersten Einkommensviertel dagegen „nur“ 22 % der Österreicher_innen.
  • Entsprechend hoch ist die Armutsgefährdung von Drittstaatsangehörigen: diese liegt mit 32 % fast dreimal so hoch wie jene von Österreicher_innen (12 %). Personen aus Drittstaaten und aus der EU („neue“ EU-Mitgliedsländer) beziehen in Wien deutlich öfter Mindestsicherung als Ergänzungsleistung (Drittstaatsangehörige: 82 %, EU ab 2004: 85 %) als Österreicher_innen (75 %), um ihr Einkommen aufzustocken.

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Teil I: Wiener Sozialbericht 2015 (I):  Beschäftigung in Wien – Zahlen, Daten, Fakten

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