30. April 2011, Tag der Arbeitslosen (I): Steigende Arbeitslosigkeit, Politikversagen und die real existierende Arbeitsmarktpolitik

Im März 2011 ist die Arbeitslosigkeit in Wien im Vergleich zum März des Vorjahrs um 8,5% gestiegen. Das liegt vor allem an Einsparungen bei Schulungsmaßnahmen, aber auch am Anstieg der Frauenarbeitslosigkeit. Die Situation von Arbeitslosen ist geprägt von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, die nicht vor dem Fall in Armut schützen, von Zwang und Kontrolle, gesetzlich vorgegeben. Von Veronika Litschel, Betriebsratsvorsitzende, AK-Rätin der AUGE/UG in Wien und Vertreterin der AUGE/UG in der Bundes-AK.

Der Anstieg der Arbeitslosigkeit ist alarmierend. Eine Analyse zeigt, dass es zwei Faktoren sind, die diesen Anstieg bestimmen.

Sparen bei Schulungsmaßnahmen

Die Schulungsmaßnahmen wurden zurückgefahren. Jetzt könnten wir uns freuen und sagen, endlich ist es mit den sinnlosen Kursen aus. Ein genauerer Blick zeigt aber, dass vor allem längerfristige zielgerichtete Schulungsmaßnahmen gestrichen wurden und nicht solche, die hauptsächlich dazu da sind, um Menschen in Erwerbsarbeitslosigkeit zu schikanieren. Auch weiterhin werden InformatikerInnen zum Computerführerschein geschickt, ÜbersetzerInnen in Sprachkurse und das 5. Bewerbungstraining wird angeordnet. Auf der Strecke bleiben die sozialökonomischen Betriebe, Umschulungen und Ausbildungen. Anscheinend hat es die Bundesregierung immer noch nicht verstanden.


 

Politikversagen bei „Green Growth“

Im Lichte der Umweltkatastrophen von Deep Water Horizon oder dem SuperGAU in Fukushima, aber auch schon mit Beginn der Wirtschaftskrise war bzw. ist von einem dringenden Umbau unseres Wirtschafts- und Energieversorgungssystems nach ökologischen Kriterien die Rede. Ressourcen schonendes „Green Growth“ – „Grünes“ Wachstums, „Grüne“ Beschäftigung – sollte durch Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen, erneuerbare Energien, Umwelttechnologien, aber auch in Bildung und Soziale Dienste gefördert werden. Den Lippenbekenntnissen folgten allerdings nur wenig konkrete Taten. Dass gerade hier ein Ansatzpunkt für ein sozial wie ökologisch nachhaltige Arbeitsmarktpolitik mit Zukunft liegt, wird von der herrschenden Politik nach wie vor geflissentlich ignoriert. Im Gegenteil: statt „mehr“ gibt es sogar „weniger“ – bei sozialen Diensten, Pflege, Betreuung und Bildung wird gekürzt, der Ökostromausbau in Österreich wird mehr behindert, statt befördert.

Dabei käme die Förderung von „Green Growth“ nicht nur „klassischen“ Berufsgruppen wie UmweltechnikerInnen, EnergieberaterInnen, PädagogInnen, PflegerInnen o.ä. zugute – auch ElektrikerInnen, InstallateurInnen, MechanikerInnen, die Baubranche ohnehin, profitieren über entsprechende Aufträge (Althaussanierung, Wärmedämmung, Solartechnologie, Heizkesseltausch, Umrüstung auf Wärmegewinnung aus Erneuerbaren, Photovoltaik etc.) vom sozial-ökologischen Umbau, über Umwegeffekte auch niedriger qualifizierte Arbeitskräfte. Dazu bräuchte es allerdings eine Arbeitsmarkt- bzw. Beschäftigungspolitik, die im ersten Schritt Investition statt Kürzung bedeutet. Denn wer künftig im Umwelt- oder Sozialbereich arbeiten soll, statt in z.B. CO 2-intensiven, in „Schrumpfung“ begriffenen Industrien, muss auch entsprechend umgeschult werden.

Steigende Frauenarbeitslosigkeit

Der zweite alarmierende Faktor ist der Anstieg der Frauenarbeitslosigkeit. Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist in den „typischen Frauenberufen“ sprich im Dienstleistungssektor angekommen. Dieser Sektor spürt Krisen immer etwas später als der Produktionssektor. Es dauert eine Weile bis die Auswirkungen von Lohnverzicht oder Kurzarbeit, Unsicherheit und wenig Vertrauen in die Konjunktur dort ankommen. Eigentlich ist dieser Anstieg alles andere als überraschend und wäre auffangbar gewesen. Aber das Diktat der leeren Kassen hat auch hier dazu geführt, dass der Kopf in den Sand gesteckt wurde. Besonders erschreckend ist, dass ein sehr hoher Anstieg der Arbeitslosigkeit von Frauen im Sozialwesen zu vermerken ist. Denn damit werden Bedürftige allein gelassen und gesellschaftliche Arbeit im Bereich Betreuung zunehmend privatisiert. Diese Entwicklung trifft wiederum die Frauen. Wenn kein Geld für außerhäusliche Pflege und Betreuung da ist, wandert diese Arbeit in die Familie und bleibt zum Hauptteil an Frauen hängen. Was nicht nur in unserer Gesellschaftsordnung verhaftet ist, denn angeblich könnten ja die Frauen viel besser betreuen und pflegen als die Männer. Es ist auch Ausdruck der ungleichen Verteilung von Einkommen zwischen Frauen und Männer, denn es wird eher auf das niedrigere Gehalt verzichtet, als auf das höhere.

Die Situation von Erwerbsarbeitslosen

Menschen in Erwerbsarbeitslosigkeit stehen einen System gegenüber, dass einen stark repressiven Charakter aufweist. Die Arbeitslosigkeit an sich wird verwaltet statt bekämpft. Das AMS ist kein Ort der Unterstützung für Betroffene, es ist ein Ort an dem vielfach frustrierte Angestellte versuchen innerhalb von starren Vorgaben ihre Arbeit zu tun. Der erste Schock beim „arbeitslos“ Melden ist für viele die Höhe des Arbeitslosengeldes.

Niedriges Arbeitslosengeld …

Mit 55% vom letzten Nettobezug kann den Lebensstandard, egal ob hoch oder niedrig nicht aufrecht erhalten werden. Gerade die untere Hälfte der EinkommensbezieherInnen muss auch in Erwerbsarbeit 100% und mehr ihres Einkommens für den Konsum von alltäglichen und notwendigen Gütern aufwenden.

Kontrolle …

Die zweite negative Erfahrung ist die Bürokratie. Ab jetzt wird kontrolliert. Wurden genug Bewerbungen geschrieben, wurde der vorgeschriebene Kurs absolviert, ist genug Eigeninitiative vorhanden. Diese Vorgaben und Kontrollen bestehen unabhängig von den Chancen am Arbeitsmarkt. Die Eigeninitiative wird vielfach gebremst.

Zwang …

Denn Ausbildungen, die den Betroffenen sinnvoll erscheinen werden nicht genehmigt, stattdessen besteht der Zwang auch sinnlose Maßnahmen zu absolvieren. Wer nicht spurt ist weg und kriegt kein Geld mehr.

Das alles liegt aber keinesfalls an den „bösen Menschen im AMS“. Es sind gesetzliche Vorgaben oder Verordnungen, die zu dieser Situation führen.
Alle kennen Beispiele aus ihrem Bekanntenkreis, wo Menschen mit 58 Jahren in Bewerbungstrainings geschickt werden oder ausgebildeten Kräften ein Einstiegskurs in ihrer Materie verordnet wird.

Armutsfalle Notstandshilfe

Der nächste Schritt ist dann die Notstandshilfe, denn sollte innerhalb von 20 Wochen (je nach Alter gelten andere Zeiträume) keine neue Stelle gefunden worden sein, kommt der Wechsel vom Arbeitslosengeld in die Notstandshilfe. Diese beträgt 92% des Arbeitslosengeldes und des Einkommen des/der Partners/Partnerin wird angerechnet. Die Freigrenzen sind sehr niedrig, bei einem Einkommen des Partners/der Partnerin von ungefähr 1.300 Euro netto ist die Notstandshilfe weg. Finanziell ist das ein Desaster, innerhalb von 20 Wochen auf ein Null-Einkommen reduziert zu sein.

Übrigens:

Filmabend zum Tag der Arbeitslosen: die AUGE/UG lädt gemeinsam mit den Wiener Grünen am „Tag der Arbeitslosen“, dem 30. April 2011 ins Kino:


Wann? 19:00 – 22:30
Wo? Admiralkino, Burggasse 119, 1070 Wien

„HOT SPOT“
Buch: Michael Seeber, Regie: Sabine Derflinger, A 2011, 80 min

Eintritt frei! Anschließend Publikumsgespräch mit Mitgliedern der Filmcrew

als Vorfilm wird unser AUGE-Filmchen zum „Tag der Arbeitslosen“ gezeigt!

4 Kommentare

  1. Karoline sagt:

    Erfreulich ist, dass die Arbeitslosen offensichtlich bereits ein eigenes Social Network haben: jobioo.com – dürfte ein Wiener Student erfunden haben …

    K.B.

  2. Weniger erfreulich, dass die Wiener Grünen die Arbeitslosen völlig in Stich lassen:

    Nicht nur haben die Wiener Grünen der verfassungs- und menschenrechtswidrigen Wiener Mindestsicherurng zugestimmt, sondern auch einstimmig die Halbierung des Heizkostenzuschusses und die weitere Einschränkung dessen BezieherInnenkreisemitgetragen. Auch gab es auf unsere Anregung hin ein Projekt für eine Arbeitslosenkonferenz, zu dem sich Arbeitsloseninitiativen mit den Grünen über ein halbes Jahr lang getroffen haben. Zugegebenermaßen hat sich da aufgrund des desaströsen Zustands der Arbeitslosenszene einiges im Kreis bewegt, aber als der (kostenlose) Saal im Rathaus bereits fixiert war, haben die Wiener Grünen das Projekt mit dem Scheinargument, sie hätten kein Geld mehr, begraben. Die paar hunderter für Werbung usw. hätten wir schon aufgetrieben. Versprochen wurde auch, vierteljärhrlch einen Runden Tisch Erwerbsarbeitslosigkeit zu machen, passiert ist dann nichts mehr, als die Grünen merkten, dass sie mit der lahmen Arbeitslosenszene sich nicht profilieren können. Die versprochene Vorstellung/Diskussion des Regierungsübereinkommens fiel auch flach. Für steht ja eh überhaupt nichts drin außer unverbindliche Gespräche über eine Arbeitslosenanwaltschaft. Bezeichnend ist es auch, dass wir nicht einmal zur Alibiveranstaltung zum Tag der Arbeitslosen als passive TeilnehmerInnen mehr eingeladen wurden. Wer keine Lobby hinter sich hat und nicht bestens organisiert wird, der wird von den Grünen nun völlig ignoriert. Die Armen und Schwachen schauen wieder einmal durch die Finger. Sie sind ja jetzt auch in der Regierung und tragen nun all das mit, was sie vorher als Opposition kritisiert hatten. So ist sie eben, die bürgerliche Parteiendemokratur …

  3. Hilf Dir selbst, sonst hilft Dir keiner. Nach diesem Motto stellen wir uns selbst auf die Beine und versuchen eben mit den geringen uns verbleibenden Mitteln selbst zu wehren. Bezeichnend auch, dass die gpa-djp in Sachen BABE-KV nur die „Sklaventreiber“ („Schlüsselarbeitskräfte“) in den AMS-Maßnahmen vertritt aber nicht die „Sklaven“ („Transitarbeitskräfte“).

    Wer die unsolidarische gpa-djp an ihre eigentliche Aufgabe erinnern will, möge bitte unsere E-Mail-Kampagne gegen die Umgehung regulärer Kollektivverträge durch die TransitarbeiterInnenregelung in BABE- und BAGS-KV unterstützen, denn heutzutage kann es jeden Treffen.

    https://www.aktive-arbeitslose.at/news/20110408_emailaktion_babe_bags_kv-transitarbeit.html

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