Arbeit und Einkommen (II): Atypische Beschäftigung, Niedriglöhne und warum es einen gesetzlichen Mindestlohn und Arbeitszeitverkürzung braucht

Schere_Niedriglohn_200Dass ein enger Zusammenhang zwischen Atypisierung und Niedriglöhnen besteht, ist nicht wirklich neu (siehe auch hier im BLOG).  Allerdings hat sich seit 2000 auch der Niedriglohnanteil unter den Vollzeitbeschäftigten erhöht.
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Definition Niedriglohn

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Die Niedriglohnschwelle liegt definitionsgemäß bei 2/3 des Einkommensmedians unselbständig Vollzeitbeschäftigter zwischen 18 und 59 Lebensjahren. Im Jahr 2012 lag das mittlere Bruttoeinkommen (inklusive 13./14. Monatsgehalt) bei knapp über 2.600 Euro/brutto, die Niedriglohnschwelle damit bei rund 1.700 Euro. Heruntergerechnet auf Stundenlöhne (bei einer angenommen 40-Stunden-Woche) liegt die Niedriglohnschwelle damit bei ca. 8,40 Euro/Stunde.

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Entwicklung des Niedriglohnsektors

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Wie hoch ist nun der Anteil der Vollzeitbeschäftigten im Niedriglohnsektor, also jenem Beschäftigtensegment mit einem monatlichen Bruttoeinkommen unter 1.700 Euro? Laut aktuellem Sozialbericht des BMASK arbeiteten 2012

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  • 32 Prozent der weiblichen Vollzeitbeschäftigten und
  • 9 Prozent der vollzeitbeschäftigten Männer

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im Niedriglohnbereich (Altersgruppe 25 bis 54 Lebensjahre ohne öffentlich Bedienstete).
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Während der Anteil weiblicher Niedriglohnbeschäftigter seit 2000 annähernd stabil – aus sehr hohem Niveau – geblieben ist, ist bei den Männer ein leichter Zuwachs von 6 auf 9 Prozent zu verzeichnen. Insgesamt ist der Anteil der Niedriglohn-ArbeitnehmerInnen seit 2000 von 14 auf 16 Prozent (2012) gestiegen.

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Ältere Frauen, jüngere Männer im Niedriglohnsektors

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Wie bereits erwähnt ist der Anteil von Frauen im Niedriglohnbereich besonders hoch. Vollzeitbeschäftigter Frauen im Alter von 25 bis 34 Jahren liegen allerdings deutlich unter dem Durchschnitt,  während die Anteile im Haupterwerbsalter (35 bis 44 Jahre) sowie bei den 45 bis 54jährigen deutlich über jenem der Jungen liegen.
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Umgekehrt verhält es sich bei den Männern: In der Gruppe der jugendlichen, vollzeitbeschäftigten Männer (25 bis 34) ist der Niedriglohnanteil mit 12 Prozent am höchsten und seit 2000 (7 Prozent)  auch am stärksten gestiegen. Mit zunehmenden Alter sinkt bei den Männern die Betroffenheit von Niedriglohnbeschäftigung deutlich.

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Niedriglöhne und atypische Beschäftigung

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Wie verhält es sich nun mit atypischer Beschäftigung und Niedriglöhnen? Im Sozialbericht heißt es dazu: „Die Zunahme des Anteils atypischer Beschäftigter (Teilzeitbeschäftigung, Leiharbeit, geringfügige Beschäftigung etc.) an der Beschäftigungsstruktur in Österreich ist mitverantwortlich für die steigende Einkommensungleichheit.“ Und, dass „die steigende Bedeutung von atypischer Beschäftigung auch mit geringeren durchschnittlichen Einkommen verbunden ist.“
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Um zu sinnvollen Vergleichen mit Normalbeschäftigten zu kommen empfiehlt es sich, die Stundenverdienste heranzuziehen. Gibt es bei atypischer Beschäftigung signifikante Abweichungen zu Stundenlöhnen bei Vollzeitbeschäftigung?

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Aus dem Einkommensbericht des Rechnungshofs lässt sich diese Frage mit einem klaren „Ja“ beantworten. Der Rechnungshof weist für 2013 die Stundenverdienste „atypischer“ Beschäftigungsverhältnisse (ArbeitnehmerInnen, ohne Werkverträge und freie DienstnehmerInnen) gesondert aus und stellt sie den Einkommen eines „normal“ beschäftigter Unselbständiger (Vollzeit, unbefristet, durchgängige Beschäftigungsdauer) gegenüber. Ruft man sich in Erinnerung, wo in etwa die Niedriglohnschwelle liegt (rund  8,40/Stunde), kann im Bereich der atypischen Beschäftigungsverhältnissen beinahe von einer weit verbreiteten „Niedriglohnnormalität“ gesprochen werden.

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  • Teilzeitbeschäftigte verdienen etwa im Median 10,80 Euro/Stunde. Der Stundenlohn der einkommensschwächsten 25 Prozent unter den Teilzeitbeschäftigten liegt allerdings mit 8,20 Euro bereits unter der Niedriglohngrenze.
  • Noch deutlicher stellt sich die Situation bei  befristeten Beschäftigungsverhältnissen dar. Hier liegt das Medianeinkommen bei 9,40 Euro, das einkommensschwächste Viertel bezieht allerdings gerade einmal 6,70 Euro je Stunden.
  • Bei geringfügig Beschäftigten liegt der Median-Stundenverdienst schon unter der Niedriglohnschwelle, nämlich bei 7,70 Euro. Das unterstes Einkommensviertel verdient gar nur 4 Euro! Obwohl geringfügig Beschäftigte als ArbeitnehmerInnen mit spezifischer Teilzeitform auch unter kollektivvertragliche Regelungen, insbesondere auch unter KV-Löhne fallen.
  • Leih- bzw. ZeitarbeitnehmerInnen verdienen im Median 11 Euro/Stunde, im 1. Quartil (das sind die einkommensschwächsten 25 Prozent) nur 8,10 Euro.
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Insgesamt stellt sich die Situation so dar, dass die einkommensschwächsten 25 Prozent  aller atypisch Beschäftigten – immerhin knapp über 400.000 Beschäftigte – einen Stundenlohn beziehen, der mit 7,90 Euro doch deutlich unter der Niedriglohngrenze liegt.

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Bruttostundenverdienste atypisch Beschäftigter, aus Einkommensbericht des Rechnungshofs 2014, S 119

Bruttostundenverdienste „Atypische“, Tabelle aus „Einkommensbericht des Rechnungshofs 2014“, S 119

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Wird dieses Stundeneinkommen noch in ein Verhältnis zu jenem der „privilegierten“ Vollzeitbeschäftigungsgruppe gestellt, die auch noch dein durchgängiges, unbefristetes Arbeitsverhältnis haben, fällt der Unterschied noch stärker aus: Beschäftigte in einem „Normalarbeitsverhältnis“ beziehen ein mittleres Stundeneinkommen von 14,50. Das mittlere Einkommen aus einem „atypischen“ Verhältnis liegt mit 10,50 Euro bei 72,4 Prozent des „normalen“ Verhältnisses. Nicht wirklich weit von der Niedriglohnschwelle 66 Prozent entfernt.

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Warum es einen gesetzlichen Mindestlohn braucht …

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Was diese Zahlen jedenfalls  belegen: es gibt viele ArbeitnehmerInnen, deren Einkommen unter der Niedriglohnschwelle liegen. Insbesondere gibt es jede Menge atypisch Beschäftigter, deren Stundenverdienst sich deutlich unter der Niedriglohngrenze befindet. Hier würde ein gesetzlicher Mindestlohn als absolute Lohnuntergrenze zumindest einen „Riegel“ vorschieben. Ganz offensichtlich ist es nur wenigen – z.B. geringfügig Beschäftigten – bekannt, dass sie zumindest zu KV-Löhnen bezahlt werden müssen. Sonst würden derartige Abweichungen von KV-Löhnen auf Stundenbasis wohl kaum zustande kommen. Ein gesetzlicher Mindestlohn würde insbesondere auch jenen Gruppen zugute kommen, deren Kollektivvertragslöhne aufgrund  branchentypischer kleinbetrieblicher Strukturen oder eines geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrades im unteren Bereich angesiedelt sind, bzw. deren Branche ein „klassischer“ Niedriglohnbereich ist (z.B. Gastronomie, persönliche Dienstleistungen etc.). Mit einem gesetzlichen Mindestlohn könnte auch endlich ein Einkommensschutz für Teilzeitbeschäftigte umgesetzt werden, der entweder über Mindestarbeitszeiten (z.b. 18 oder 20-Wochenstunden) oder ein entsprechendes Mindestmonatseinkommen (Mindestlohn x Mindestarbeitszeit als Einkommensuntergrenze bei Teilzeit unabhängig vom Stundenausmaß) Löhne und Gehälter von Teilzeitbeschäftigten nach unten absichert.

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… und eine Arbeitszeitverkürzung

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Und weil wir gerade bei Arbeitszeiten sind: Es braucht natürlich eine Neuverteilung, eine Umverteilung von Arbeitszeit. Fast die Hälfte der Teilzeitbeschäftigten arbeiten höchstens 20 Stunden/Woche mit einem entsprechenden Einkommen einer damit einhergehenden schwachen sozialen Absicherung im Falle von Arbeitslosigkeit oder Pensionierung. Auffallend ist, dass ArbeiterInnen besonders stark in der Gruppe jener Teilzeitbeschäftigter vertreten ist, die weniger als 15 Wochenstunden arbeitet. Im Vergleich dazu arbeiten Vertragsbedienstete und BeamtInnen überdurchschnittlich oft zwischen 25 und 30 Stunden. Gerade einmal 11 Prozent der Teilzeitbeschäftigten insgesamt arbeiten dagegen über 30 Wochenstunden.
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Dass mit geringerem Arbeitsvolumen auch Stundenverdienste sinken ist aus dem Einkommensbericht klar Rechnungshofs ersichtlich. Mit „Atypisierung“ des Beschäftigungsverhältnisses steigt die Prekarisierung. Noch einmal zur Erinnerung: Das mittlere Stundeneinkommen „Normalbeschäftigter“ liegt bei 14,50 Euro, jenes von Teilzeitbeschäftigten bei 10,80 Euro, bei Geringfügigkeit liegt es schon nur noch bei 7,70.
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Wenn  das „Normalarbeitsverhältnis“ gleichzeitig zusehends den Charakter einer „Norm“ verliert, weil gerade noch knapp über der Hälfte der ArbeitnehmerInnen in einem solchen stehen, dann braucht es eine Neudefinition des Normalarbeitsverhältnisses bzw. der Normarbeitszeit um dem individualisierten „Chaos“ bei der Arbeitszeitgestaltung – mit entsprechender Entgrenzung und Ausuferung der Arbeitszeiten bei Vollzeit und zunehmender Prekarisierung bei Teilzeit und anderen Formen der Atypisierung – wirkungsvoller begegnen zu können. Ein neuedefiniertes Normarbeitsverhältnis sollte dabei sowohl einen deutlich verkürzten Normalarbeitszeitstatus als auch daran angepasste maximal zulässige Höchst- aber auch Mindestarbeitszeiten beinhalten.
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Ohne eine kollektive Neuverteilung von Arbeit über eine allgemeine, gesetzliche Arbeitszeitverkürzung wird Massenarbeitslosigkeit, Prekarisierung und massive Einkommensungleichheit nicht zu überwinden sein. Nicht zuletzt, weil Beschäftigungswunder über hohe Wachstumsraten nicht mehr zu erwarten sind und wir uns auf längere Perioden ökonomischer Stagnation bzw. niedrigen Wachstums einstellen werden müssen. Nicht zuletzt weil hohe Wachstumsraten aus ökologischen Gründen nicht endlos verkraftbar sind. Diesen Realitäten sollte man sich nicht länger verschließen.

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Zu Teil I: Wenn Atypisierung zur Norm wird

Kommentar zu „Arbeit und Einkommen (II): Atypische Beschäftigung, Niedriglöhne und warum es einen gesetzlichen Mindestlohn und Arbeitszeitverkürzung braucht“

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