EU: Armutsrisiko Arbeitslosigkeit

Beinahe die Hälfte aller Arbeitslosen  in der EU sind armutsgefährdet. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Erhebung von eurostat, der Statistikbehörde der EU-Kommission. Dank Hartz IV ist die höchste Armutsgefährdung in Deutschland.
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48,7 Prozent der Arbeitslosen in der EU waren 2016 einem Armutsrisiko ausgesetzt. Das Armutsgefährdungsrisiko ist dabei seit 2006 deutlich gestiegen – nämlich um 7,2 Prozentpunkte. In der Eurozone ist sie gar um 9,7 Prozentpunkte gestiegen. Die Wirtschaftskrise und damit verbundene „Arbeitsmarktreformen“ – die vielfach Kürzungen bei Arbeitslosengeld, bei der Dauer des Bezugs, beim Zugang zu Arbeitslosengeld etc. beinhalteten – haben entsprechende Folgen gezeitigt. Und das Armutsrisiko erwerbsarbeitsloser Personen erhöht.
aus: eurostat, Almost half the unemployed at risk of monetary poverty in the EU, 26. Februar 2018

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Stärkste Armutsgefährdung in BRD

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Das stärkste Armutsgefährdungsrisiko weist allerdings Deutschland aus. Dank der Hartz IV-Reformen der neunziger Jahre sind Arbeitslose beim nördlichen Nachbarn inzwischen zu 70,8 Prozent armutsgefährdet! Ein absoluter Rekordwert. 2006 lag in Deutschland das Armutsgefährdungsrisiko bei Arbeitslosigkeit noch bei 43,6 Prozent (Hartz IV trat am 1. Jänner 2005 in Kraft).  Platz zwei hinter Deutschland belegt Litauen mit einem Armutsrisiko bei Arbeitslosigkeit von 60,5 Prozent, Platz drei geht an Lettland mit 55,8 Prozent. In den baltischen Staaten kam es in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise zu drastischen Sozialreformen, die ganz im Zeichen einer rigorosen Austeritätspolitik – also einer strikten Sparpolitik – standen, die u.a. Arbeitslosigkeit und Armut deutlich anstiegen lies.

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Österreich Mittelfeld

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Im „Mittelfeld“ der Armutsgefährdung bei Arbeitslosigkeit liegt Österreich – knapp unter EU-Schnitt – mit 47,3 Prozent, Italien mit 46 Prozent, aber auch Griechenland (46,9 Prozent), Slowenien (48 Prozent) und Polen (46,6 Prozent). Leicht über dem Schnitt ist Schweden mit 50 Prozent.
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Dabei gilt es aber zu berücksichtigen, dass die Armutsgefährdungsschwelle ein „relativer“ Wert ist – also in Bezug zum jeweiligen nationalen Einkommen steht. Als armutsgefährdet gilt, wer mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung (verfügbares Einkommen der Privathaushalte nach Sozialtransfers) auskommen muss. Die Armutsgefährdungsschwelle orientiert sich entsprechend auch in Griechenland am Einkommen des Vergleichszeitraums. In Griechenland sind allerdings in Folge der Krise und der rigorosen Troika-Auflagen die verfügbaren Einkommen der Haushalte alleine von 2008 bis 2012 um beinahe ein Drittel gesunken. Die Bruttoeinkommen der Privathaushalt sind im gleichen Zeitraum um rund ein Viertel zurückgegangen – nämlich von 23.100 Euro 2008 auf 17.900 Euro 2012. Die mittleren Pensionen sanken von 2010 bis 2016 von 1.200 auf 833 Euro monatlich. Beinahe jeder dritte griechische Haushalt musste mit einem Jahreseinkommen von weniger als 7.000 Euro auskommen – deutlich unter der Armutsgefährdungsschwelle von 7.756. Die allerdings mit sinkenden Einkommen seit 2008 von 8.767 Euro um fast 1.000 Euro gesunken ist! Die Armutsgefährdungsschwelle bildet daher die tatsächliche Armut nur unzureichend ab – insbesondere dann wenn die Armutsgefährdungsschwelle vor der Krise als Vergleich herangezogen wird. Dass trotz gesunkener Armutsschwelle die Armutsquote von knapp 28 Prozent vor der Krise auf 31,1 Prozent 2012 gestiegen ist, zeugt jedenfalls von einem massiven Anstieg der Armut in Griechenland.  (Siehe auch DGB-Studie zu Griechenland)

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Am unteren Ende der Armutsgefährdung: Dänemark und Frankreich

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Am unteren Ende der Armutsgefährdung befinden sich traditionell sozialstaatlich gut ausgebaute Staaten wie Finnland (37,3 Prozent), Dänemark (38,6 Prozent) und Frankreich (38,4 Prozent).

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Vergleich Armutsrisiko Arbeitslose und Erwerbstätige

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Die größte „Risikolücke“ zwischen Erwerbsarbeitslosen und Erwerbstätigen tut sich erwartungsgemäß in Deutschland auf: Die Lücke beträgt hier 61,3 Prozent – währen 70,8 Prozent der Arbeitslosen armutsgefährdet sind, sind es bei den Erwerbstätigen nur 9,5 Prozent. Im Vergleich dazu beträgt die Risikolücke in Österreich 39,1 Prozent (47,3 vs. 8,2 Prozent).
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Kleine Lücken weisen die Krisenländer Zypern (28,9 Prozent), Portugal (30,8 Prozent) aber auch Griechenland (32,9 Prozent) auf, wobei sich hier das Armutsgefährdungsniveau insgesamt verschoben hat. Die niedrige Lücke ist in diesen Staaten wohl eher auf den massiven Rückgang der Erwerbseinkommen zurückzuführen, als auf ein  sozialstaatliches Sicherungsniveau, das gegen Armut absichert – da ja insbesondere in den Krisenländern  auch harte Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme getätigt wurden. Eine relativ kleine Lücke weist allerdings auch Frankreich mit 30,5 Prozent auf.

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Und was bringen die nächsten Jahre?

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Das Armutsgefährdungsrisiko bei Arbeitslosigkeit stieg in Österreich seit 2006 von 43,4 auf bereits erwähnte 47,3 Prozent. Sichert die Arbeitslosenversicherung in Österreich schon heute in vielen Fällen nicht ausreichend gegen Armut ab, droht sich diese Entwicklung in den nächsten Jahren noch verschärfen, sollte das schwarz-blaue Regierungsprogramm tatsächlich umgesetzt werden. Diese sieht ja u.a. die Abschaffung der Notstandshilfe, die weitere Lockerung des Einkommens- und Berufsschutz, schärfere Sanktionen und ein Aufweichen der Zumutbarkeitsbestimmungen vor. Insbesondere die Abschaffung der Notstandshilfe droht die Armutsgefährdung drastisch zu erhöhen – bleibt dann doch nur noch die Mindestsicherung als „letztes soziales Netz“, verbunden mit dem Zwang, zuvor sein gesamtes Vermögen zu verwerten – inklusive Auto und Ersparnisse.
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Tatsächlich notwendige Schritte, um die Armutsgefährdung in der Arbeitslosenversicherung zu verringern wären z.B.
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  • Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung armutsfest zu machen, z.B. durch eine Erhöhung der Nettoersatzquote von dzt. 55 Prozent auf 70 bis 80 Prozent der Berechnungsgrundlage.
  • Keine Abschaffung der Notstandshilfe – insbesondere jetzt, wo die Anrechnung des PartnerInneneinkommens aufgehoben wurde.
  • Anhebung der Mindestsicherung in Richtung Armutsgefährdungsschwelle, höhere Vermögensgrenzen, Rechtsanspruch auf Beratung, Betreuung und Qualifikation bei Mindestsicherungsbezug, Keine Deckelung der Mindestsicherung für Familien mit Kindern.
  • Langfristig orientierte und wirkende Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen, die eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration statt schneller Vermittlung zum Ziel haben. Beibehaltung und Ausbau von beschäftigungspolitischen Maßnahmen wie der Aktion 20.000.
  • Einrichtung einer unabhängigen Arbeitslosen- und Sozialanwaltschaft als weisungsungebundene Interessenvertretung,  die Betroffene/n bei der Durchsetzung ihrer Rechte und Ansprüche berät und hilft.

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Link: eurostat, Almost half the unemployed at risk of monetary poverty in the EU, 26. Februar 2018

2 Kommentare

  1. Danke für den Artikel und die Forderungen!
    Als größte Erwerbslosengewerkschaft bestehen wir schon darauf, dass wir endlich entsprechend ILO Übereinkommen 122 und ILO Empfehlung 202 eine demokratische Mitsprache bekommen! Die Arbeitslosen- und Sozialanwaltschaft soll daher auch politische Plattform für die Betroffenenselbstorganisationen sein!
    https://www.aktive-arbeitslose.at/referat_auf_momentum14_von_der_notwendigkeit_einer_arbeitslosenanwaltschaft.html
    Wir teilen Euren Artikel trotz der kleinen Unachtsamkeit jedenfalls gerne weiter!

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