Integrationsversagen oder: Was steckt hinter dem Terroranschlag
26. November 2020 von auge/ug
Stefan Taibl, Betriebsrat im Sozialbereich, AUGE/UG Arbeiterkammerrat
Warum strengere Rechtsmittel auch nicht helfen
Österreich ist eine Integrationsgesellschaft, und das seit dem Kaiserreich, oder sogar davor?
Die meisten Migrationsströme waren im wirtschaftlichen Interesse. Die Wirtschaft brauchte mehr Arbeitskräfte. Und, ohne die Migrant*innen bzw. deren, oft schon österreichischen Nachkommen, würde die Wirtschaft nicht funktionieren. Also, Österreich hat eine große und auch benötigte migrantische Gruppe und das schon sehr lange. Aber, die Gesellschaft hat nicht geschafft, sie als offiziellen, gleichwertigen Teil der Gesellschaft anzuerkennen.
Viele migrantische Mitbürger*innen, oder Mitbürger*innen migrantischen Ursprungs, sehen sich nicht als gleichberechtigter Teil der Gesellschaft, und viele Österreicher*innen sehen das auch so. Und viele Österreicher*innen, aber auch Migrant*innen, wollen das auch so. Als Gesellschaft muss es unser Bestreben sein, diese Grenzen aufzulösen. Nur, wenn wir Migrant*innen sowohl Rechte wie auch Pflichten zusprechen, sie gleichberechtigter Teil der Gesellschaft werden lassen, können diese Grenzen überwunden werden. Und das tun wir nicht, bzw. zu wenig, zu ungenügend, und eventuell ist das sogar gewünscht?
Wo entstehen die Bruchlinien? Welchen Narrativen unterlag der Amokläufer in der Wiener
Innenstadt, die ihn zu dieser Handlung, diesem abscheulichen Verbrechen gebracht haben? Und wo
geschah der Bruch mit der Gesellschaft? Wo hat ihn die Gesellschaft als wertvolles Mitglied, als Teil
der Gesellschaft, verloren. Diese Fragen, denke ich, gehören in erster Linie behandelt. Wir dürfen
nicht vergessen, er ist hier geboren, hier aufgewachsen, hat hier über seine Zukunft nachgedacht.
Und sich über seine Perspektivenlosigkeit in unserer Gesellschaft und dem Schritt zum
Selbstmordattentäter Gedanken gemacht. Er war Teil unserer Gesellschaft, keine Bedrohung von
außen.
Keine Verbesserung oder Verschärfung im Strafgesetzbuch werden jemand aufhalten, der mit der
Gesellschaft und seinem Platz in der Gesellschaft, nicht zurechtkommt. Wir müssen dringend diese
Spaltung der Gesellschaft hinterfragen. Da müssen wir, als Gesellschaft, eine Kurskorrektur machen,
um diese Menschen zu erreichen. Aktiv und fordernd.
Und natürlich, muss sich auch die Muslimische Religionsgemeinschaft fragen, wie und warum ihre Religion solchen Narrativen Raum und Rechtfertigung anbietet. Mord ist einfach ein Verbrechen, keine Heldentat. Das Verschärfen des Rechtssystems kann überhaupt nur ein Baustein in diesem Prozess sein. Die anderen bedürfen allerdings auch einer dringenden Aufarbeitung und Verbesserung.
Von Stefan Taibl, Betriebsrat im Sozialbereich, AUGE/UG Arbeiterkammerrat