Kollektivverträge: Spuren einer anderen Demokratie


Kollektivvertragsverhandlungen sind für viele ein Mysterium. Dabei sind sie Ausdruck einer relativ unmittelbaren Mitbestimmung. Warum Zurufe von außen abzulehnen sind und ihr autonomer Charakter verteidigt werden muss.

Wer verhandelt Kollektivverträge?

Wohl einer der wichtigsten Teile der Gewerkschaftsarbeit in der Gewerkschaft GPA erfolgt in den sogenannten Wirtschaftsbereichen. In den anderen Fachgewerkschaften gibt es ähnliche Strukturen, in der PRO-GE heißen sie zum Beispiel Branchenausschüsse. Die Wirtschaftsbereiche sind zuständig für die Vorbereitung, Durchführung und Abschluss von Kollektivverträgen.

Aber wie setzen sich diese Gremien nun zusammen? Wer bestimmt darüber?

Die Gewerkschaftsmitglieder sind einem jeweiligen Wirtschaftsbereich zugeordnet – in welchem, darüber entscheidet die Branchenzugehörigkeit ihrer/s ArbeitgeberIn (zB Handel). Wenn ihr Betrieb organisiert ist – also ein Betriebsrat gewählt wurde und dessen Betriebsratsmitglieder wiederum gewerkschaftlich organisiert sind (also Gewerkschaftsmitglieder sind), dann hat dieser Betrieb in der sogenannten Regionalkonferenz der Gewerkschaft GPA ein Grundmandat. Betriebe die zumindest 20 Prozent Organisationsdichte (Gewerkschaftsmitglieder innerhalb der Belegschaft) haben, können die Hälfte; Betriebe mit zumindest 50 Prozent Organisationsdichte, können alle gewerkschaftlich organisierten Betriebsratsmitglieder in die Regionalkonferenz entsenden. Diese Regionalkonferenz wählt Delegierte in den sogenannten Bundesausschuss, der dann eigentlich zuständig für die Durchführung und Abschluss von Kollektivverträgen ist.

Kollektivverträge verhandeln ausschließlich BetriebsrätInnen. Nur diese sind stimmberechtigt. Die Gewerkschaftsorganisation unterstützt die verhandelnden BetriebsrätInnen.

Gibt es einen Betriebsrat im Betrieb? Sind die Betriebsratsmitglieder gewerkschaftlich organisiert? Wie viele ArbeitnehmerInnen des Betriebes sind organisiert? – all das entscheidet darüber, wie stark ein Betrieb schlussendlich bei den Kollektivvertragsverhandlungen mitbestimmen darf.

Von unten

Nach geschlagenen Kollektivvertragsverhandlungen wird immer wieder kritisiert, dass „die Gewerkschaft“, oft auch „die Gewerkschaftsführung“ nicht stark genug aufgetreten sei. Sie hätten die Chance vertan, endlich einmal auf den Tisch zu hauen und mit einer Streikwelle den ArbeitgeberInnen die Wadln vierezurichten. Wenn dann darauf verwiesen wird, dass ja eigentlich BetriebsrätInnen die Kollektivverträge verhandeln und nur sie stimmberechtigt über den Abschluss eines Kollektivvertrages sind und die Mehrheitsverhältnisse nun mal so sind wie sie sind (aber die sind ja veränderbar!), werden diese Betriebsräte oft als schwach, korrupt, kontrarevolutionär, ua bezeichnet, die ihre KollegInnen entmündigen. Und aus dieser „Entmündigung“ müssen „aufrechte“ GewerkschafterInnen sie befreien – so hört man das oft.

An dieser Stelle sei gesagt: Das ist eine derart paternalistische Herangehensweise, eine derartig bevormundende, autoritäre Einstellung gegenüber KollegInnen – diese Geisteshaltung ist strikt abzulehnen. Niemand muss ArbeitnehmerInnen zur Erleuchtung führen, denn die ArbeitnehmerInnen in einem Betrieb wissen selbst am besten, wie ihre eigene Lage ist und sollten daher keine Einmischung von außen dulden – schon gar nicht von denen, die in gewerkschaftlichen Kämpfen ihre eigene politische Agenda erfüllt sehen wollen.

Denn die Stärke einer Gewerkschaft geht nicht von der revolutionären oder kämpferischen Tatkraft irgendeiner Gewerkschaftsführung oder BetriebsrätInnen (und schon gar nicht von Möchtegern-„Arbeiterführer“) aus; ja nicht einmal die Mitglieder bestimmen die Stärke einer Gewerkschaft – das ist ein Irrtum! Hier wird das Pferd von der falschen Seite aufgezäumt: Die Durchsetzungskraft der ArbeiternehmerInnen in den vielen einzelnen Betrieben kumuliert sich bei überbetrieblichen Kämpfen zur Durchsetzungskraft der gesamten Gewerkschaft. Es ist der autonome und lokale Charakter von betrieblicher Organisation und betrieblichen Kämpfen, die die Basis und Stärke einer Gewerkschaft ausmachen.

Mit dieser Herangehensweise, wonach ArbeitnehmerInnen als Teil des betrieblichen Kollektivs, im Zusammenwirken mit ArbeitnehmerInnen anderer Betriebe, erst die gewerkschaftliche Durchsetzungskraft entstehen lassen, die wiederum dann ihre ureigensten Interessen durchsetzt, übergibt man den ArbeitnehmerInnen viel mehr Verantwortung und verlangt ihnen viel mehr ab, als der Ansatz nach einer autoritär durchgreifenden Gewerkschaftsführung zu rufen, die sich über verhandelnde BetriebsrätInnen hinwegsetzt und die die ArbeitnehmerInnen zum Sieg führen soll. Aber man gesteht den ArbeitnehmerInnen auch viel mehr Freiheit, Eigenverantwortung und Mündigkeit zu!

Von links

Die Aufgabe von fortschrittlichen, sozialistischen Kräften in der Gewerkschaftsbewegung ist nun nicht, den ArbeitnehmerInnen in ihrer Autonomie hineinzureden und ihnen weismachen zu wollen, man wisse besser, was ihre ureigensten Interessen sind und wie man diese durchsetzt.

Ihre Aufgabe ist es begleitend solidarisch zu sein, kritisch solidarisch zu sein, die Freiheit und Mündigkeit der ArbeitnehmerInnen zu stärken – das Selbstbewusstsein als ArbeitnehmerInnen zu stärken. Und dieses Selbstbewusstsein der ArbeitnehmerInnen entsteht in den betrieblichen Kämpfen.

Und dann kommt das „links“ von ganz allein. Denn dazu braucht es keine großen historischen TheoretikerInnen, keine AnführerInnen, es braucht nur die Aussicht für Menschen, selbstbestimmt und solidarisch handeln zu können (wie zum Beispiel in der Dynamik von betrieblichen bzw. gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen). In diesen Momenten hat der Mensch stets am menschlichsten gehandelt.

Massenabstimmung vs. unmittelbare(re) Mitbestimmung

Oftmals wird auch eine „Urabstimmung“ zu Kollektivverträgen verlangt. Wer aber glaubt, dass Massenabstimmungen den „reinen” demokratischen Willen abbilden – ist im besten Fall naiv. Das wäre vor allem eine Abstimmung leicht zu mobilisierender ArbeitnehmerInnen und die prekär Beschäftigten, in irgendwelchen Filialen, die aufgrund ihrer sozialen Situation jetzt schon ausgegrenzt sind, werden durch die Finger schauen. Das ist alles andere als gerecht!

Dann lieber BetriebsrätInnen in den Kollektivvertragsverhandlungen aus kleinen, großen Betrieben, solche mit prekär Beschäftigte, solche mit fixen Jobs, solche mit viel Vollzeit und welche mit viel Teilzeit – denn diese können viel besser die Arbeitsrealitäten der Menschen abbilden, als irgendeine Massenabstimmung.

Wenn die ArbeitnehmerInnen eines Betriebes der Meinung sind, dass bei Kollektivvertragsverhandlungen schlecht verhandelt wurde, dann müssen sie sich dagegen organisieren, dann müssen sie Einfluss nehmen. Und das ist denkbar einfach: Der Betriebsrat und seine Betriebsratsmitglieder haben unmittelbaren Einfluss auf die Kollektivvertragspolitik – umso stärker der Betrieb organisiert ist, umso mehr Einfluss hat der Betrieb.

Diese Art der Mitbestimmung ist eine andere Form der Demokratie, sie ermöglicht den ArbeitnehmerInnen eine viel unmittelbarere Teilnahme an all ihren Angelegenheiten (nämlich direkt über ihre gewählten BetriebsrätInnen), als durch eine Massenabstimmung, die immer nur die leicht zu Mobilisierenden erreicht und die stets begleitet wird von äußeren Einflüssen. Man stelle sich nur das Inseratenbudget der Industriellenvereinigung für Werbung in Medien vor, um die Abstimmungen zu beeinflussen. Eine direkte, kleinteilige, unmittelbarere Teilnahme ist viel schwerer beeinflussbar.

Diese andere Art von demokratischer Mitbestimmung ist die Stärke der Gewerkschaft – nicht deren Schwäche! Sie muss ausgebaut und gestärkt werden und nicht geschwächt.

Dein Kommentar:

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.