Linke Mehrheit, anyone?
21. Oktober 2020 von auge/ug
Notizen zur Wien-Wahl 2020
von Karin Stanger
Sagen wir’s wie es ist: Es gibt nur eine Koalitionsvariante, die eine lebenswerte Stadt – für alle – im Blick hat. Doch erst eine Analyse der Wahlergebnisse.
Implosion – Das rechtsextreme Lager ist kollabiert. Die FPÖ kommt auf 7,11 % – das ist ein Minus von 23,7 %. Ein historisches Minus. Auch das Team HC hat nicht punkten können – mit 3, 3 % haben sie die 5 %-Hürde verfehlt um in den Gemeinderat einzuziehen.
Das ist erstmal gut. Das ist gut, weil die Rechten damit über weniger Ressourcen verfügen – weniger Geld, weniger Ämter, weniger Redezeit.
Dies ist aber als Zeitfenster zu begreifen! Ein Zeitfenster das es zu nutzen gilt, um der FPÖ endlich langfristig den Nährboden zu entziehen. Denn es war nicht der Verdienst linker Programme und Visionen die zu diesem Absturz geführt haben.
Rote Kernthemen, aber kein Häupl. Mit einem Plus von zwei Prozentpunkten im Vergleich zur Gemeinderatswahl 2015 kommt die SPÖ auf 41,6 % und ist damit Wahlsiegerin.
Spannend ist, dass in absoluten Zahlen die SPÖ von tausenden Menschen weniger als noch 2015 unter Amtsvorgänger Michael Häupl gewählt wurde. Im Jahr 2015 machten noch fast 330.000 Wiener_innen ihr Kreuz bei den Roten, am vergangenen Sonntag nur knapp über 300.000. Die FPÖ wählten gut 200.000 Personen weniger als noch 2015, Neos, ÖVP und Grüne verzeichnen in Prozent wie auch in einzelnen Stimmen ein Plus. Dies hat mit der Wahlberechtigung und mit der sinkenden Wahlbeteiligung zu tun.
Wie ein Bürgermeister Ludwig nun nach seinem ersten Wahlerfolg tickt, wird sich zeigen. Im Wahlkampf war Ludwig neben roten Kernthemen wie sozialer Wohnbau und ein gutes Gesundheitssystem bei anderen linken Themen eher verhalten: Stichwort Integration und Moria. Bei der Puls24-Elefantenrunde hat sich Ludwig demonstrativ dazu nicht geäußert. Aus folgenden Gründen: Bei den Flächenbezirken ist bei diesem Thema nichts zu holen. Häupl wäre wohl nicht still gewesen. Da vermisst man die launige Häupl-Haltung.
Führende Rolle im rechten Lager. Die ÖVP kam mit 20,4 % noch knapp über die 20 %-Marke, das ist ein Plus von 11,2 Prozentpunkten. Die Zahl ihrer Abgeordneten stieg von sieben auf 22. Natürlich ist dies dem katastrophalen FPÖ-Wahlergebnis geschuldet. Bei der Nationalratswahl kam die ÖVP in Wien allerdings auf 25 %, das heißt da wäre noch Luft nach oben gewesen, rechnete man die Implosion der FPÖ mit ein.
Im Wahlkampf hörte man oft: Seine Partei wird trotz, nicht wegen Blümel zulegen. Die Wahlmotivforschung von SORA zeiget: Ein gutes Viertel der Befragten, die für die ÖVP stimmten, gab das Partei-Programm als wichtigsten Grund an. Als zweit wichtigsten Grund, Spitzenkandidat Blümel. Allein, geglaubt hat niemand, dass Blümel nach Wien geht. Die ÖVP setze ihre rechts-konservative Einstellung im Wiener Wahlkampf fort. Gerne benutze man da Wordings der FPÖ, wie etwa Gernot Blümel: „2015 darf sich nicht wiederholen“. Oder Leonhard Wassi, Obmann der Jungen ÖVP in Floridsdorf, der sich bei der Wahldiskussion der Gewerkschaftsjugend nicht zu schade war, den Macheten-Sager von Strache und Nepp zu borgen.
Erfolgskurs der Grünen setzt sich fort. Mit 14,8 % und einem Plus von 2,9 % der Stimmen haben die Grünen das historisch beste Ergebnis bei den Wien-Wahlen erreicht. Mit 16 Mandaten – ein Plus von 6 Mandaten – gehen sie gestärkt aus der Wahl hervor.
Damit konnte der grüne Juniorpartner in einer Koalition in Krisenzeiten dazu gewinnen. Das Mittragen der menschenverachtenden ÖVP-Politik – Stichwort Moria – auf Bundesebene hat den Grünen in Wien nicht geschadet. Es stellt sich die Frage: Ist es den Wähler_innen zu wenig wichtig, muss es erst sickern oder wurde ihnen die fehlende Durchsetzungskraft geglaubt!?
Die Botschaft „Wer in Wien Rot-Grün will, muss Grün wählen“ ist bei den Wähler_innen auf jeden Fall angekommen. Denn es zeigt sich, Ludwig ist offensichtlich kein Garant dafür.
Neben der Covid19-Pandemie, scheinen die Wiener_innen das Ziel die Klimakrise zu bewältigen, nicht aus den Augen verloren zu haben. In einer Runde der Chefredakteur_innen im ORF wurde kontrovers über die Spitzenkandidat_innen diskutiert. Bei einem Punkt war man sich einig: niemand hat so Themen gesetzt wie Birgit Hebein von den Grünen. Die zusätzlichen Radwege, eine autofreie Stadt, der Pool am Gürtel – am Thema Klimahauptstadt Wien kam man nicht vorbei. Das wünschenswerte langfristige Ziel ist es, die Klimafrage mit der sozialen Frage zu verbinden – ob das bei den Wähler_innen schon angekommen ist, darf bezweifelt werden.
Die Grünen Wien ließen im Wahlkampf mit einer ihrer Hauptforderungen aufhorchen: eine 35-Stunden-Woche für alle 65.000 Beschäftigten der Stadt Wien. Durch die Arbeitszeitreduktion würden auch zusätzliche 7000 Arbeitsplätze mitten in der Corona-Krise geschaffen werden. Es wäre ein visionärer Meilenstein, wenn Wien mit der Arbeitszeitverkürzung vorangeht.
Ein neues Projekt – Links. Es gibt ein spannendes neues Projekt am Polithimmel: Links. Den Sprung über die 5 %-Hürde in den Gemeinderat haben sie nicht geschafft. Man darf gespannt sein, wie sie sich entwickeln. Die erreichten 2 % sind ein Achtungserfolg. Auf Bezirksebene haben sie nun 23 Bezirksrät_innen. Die Kommunikation von Links ist zu szene-lastig und programmatisch braucht es noch mehr, als rot-grün auf die Finger zu schauen, auch, um eine tatsächliche Diskursverschiebung nach links zu schaffen.
Beteiligung der Wohnbevölkerung in Wien erstmals unter 50 %. Mit knapp 30 % liegen die Nicht-Wahlberechtigten deutlich vor den Nicht-Wähler_innen (24,4%). Noch nie in der Geschichte der Zweiten Republik musste der Wiener Gemeinderat seine Macht auf einer dünneren Wähler_innen-Basis legitimieren. Von den 1,6 Millionen Einwohner_innen im Wahlalter gaben nur 739.485 ihre Stimme ab. Hauptgrund dafür ist der wachsende Anteil der Menschen, die aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft von Wahlen ausgeschlossen sind. Dieser Anteil hat sich in den letzten 30 Jahren verdreifacht. Die Politik muss hier gegensteuern: Es braucht eine Senkung der Einbürgerungshürden, Möglichkeiten zu Doppelstaatsbürgerschaften und einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung für hier geborene oder lange hier lebende Menschen, damit bei der nächsten Wien-Wahl wieder mehr als die Hälfte der Wohnbevölkerung zur Wahlurne geht!
Koalitionspoker. Bürgermeister Ludwig hat mehrere Optionen der Zusammenarbeit: Eine Fortsetzung von Rot-Grün, Rot-Türkis oder Rot-Pink. Laut Umfragen ist Rot-Grün die beliebteste Variante bei den Wiener_innen. Doch schon während des Wahlkampfes gab es einige Zeichen der SPÖ an die Neos. Man framte sie als „nicht so neoliberal“ wie im Bund und lobte das Engagement in der Bildung. Allein: Die Agenden liegen in Wien seit jeher in SPÖ-Hand. Kaum vorstellbar, dass die Roten bereit wären, hier Zugeständnisse zu machen. Abgesehen davon scheint es absurd, dass gerade die SPÖ Wien vergisst, wofür die Neos stehen: für knallharte neoliberale Politik, die sie nach den Interessen der Unternehmen und Konzerne ausrichten. Vergessen auch die problematische „Kammerjäger“-Kampagne der Neos zur Abschaffung der Arbeiterkammer. Den Gewerkschafter_innen innerhalb der SPÖ müssen die Haare zu Berge stehen bei diesem Säbelrasseln.
Wird hier (nur) versucht die Regierungsbeteiligung der Grünen teurer zu machen? Vielleicht.
Die SPÖ sollte sich nicht verzetteln mit dem Koalitionspoker, das kann nach hinten losgehen. Soziales, Klimaschutz, Wohnen, Bildung, die lebenswerte Stadt für alle – die inhaltlichen Überschneidungen liegen klar auf der Hand und die Visionen für Wien ergänzen sich.
Die Medien berichten am laufenden Band darüber, wer sich im Rathaus wie gut versteht und was das bedeuten kann. Dazu bleibt zu sagen: Persönliche Befindlichkeiten sollten draußen bleiben, wo Politik gemacht wird. Wenn die Möglichkeit da ist, eine linke Koalition herzustellen, ja, dann sollte man das auch gefälligst tun.
Karin Stanger ist Gewerkschafterin, Feministin und Antifaschistin. Sie ist Bundesvorständin der AUGE/UG und arbeitet im Bundesbüro der AUGE/UG als Politische Referentin.
Dier Beurteilung desWiener Wahlergebnisses durch Karin stimme ich im Großen und Ganzen zu. Als Grüner Gewerkschafter und Öko-Sozialist macht es mir dennochSorgen, dass ein großerTeil der früher SPÖ-Wählenden nicht für dieGrünen gewonnen werden konnte, sondern ins Nichtwähler-Lager abdriftete. Sie hätten zumindest teilweiser für links-alternative Grüne Positionen gewonnen werden müssen. Die – vor Allem von Grünen mit christlich-sozialem Hintergrund gepushte – Koalition mit der ÖVP und sehr schlecht kommuniziertes Grünes Nationalrats- Abstimmungsverhalten (Moria-Flüchtlinge, Tierschutz, Arbeitslosengeld) hat da für Viele doch die Grünen weniger wählbar gemacht. Erfreulich, dass die Grünen in Wien-Donaustadt doppelt so viele Bezirksrats- Stimmen erhielten als im 7. Bezirk. Nur reichte das im 22. nur (was ohnehin sensationell ist!) zu einem Stimmenanteil von 10%, im 7. aber für 45%. Die BoBo-blase konnte also – trotz des linksorientierten Wahlkampfes von Birgit Hebein -leider (noch) nicht durchbrochen werden. Hier besteht dringende Grüne Entwicklungsmöglichkeit.