ÖVP-FPÖ Regierungsprogramm: Willkommen im 12-Stunden-Arbeitstag!

Auf unserem Verteilungs-Blog haben wir die Vorhaben der neuen rechtskonservativen Bundesregierung analysiert. Über weite Strecken liest es sich wie ein „Wünsch-Dir-was“ der Industriellenvereinigung, aufgeladen durch fremdenfeindliche Ressentiments, Sicherheitspopulismus,  bildungspolitischen Konservativismus und durchzogen von einem autoritären Geist, insbesondere wenn es um Interessensvertretungen der ArbeitnehmerInnen und der Studierenden geht. Klar aus der Feder der Industriellenvereinigung stammt das Kapitel zur Arbeitszeitflexibilisierung. Neben der vereinfachten Möglichkeit, tägliche und wöchentliche Höchstarbeitszeiten auf 12 bzw. 60 Stunden auszudehnen, beinhaltet diese Kapitel v.a. auch die Forderung nach einer Stärkung der betrieblichen Ebene bei Arbeitszeitfragen.

Hier der entsprechende Auszug zu den schwarz-blauen Arbeitszeitplänen aus dem Beitrag Schwarz-Blaues Regierungsprogramm (I): Industriellenvereinigung trifft Stammtisch auf unserem Verteilungs-Blog:
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Hier fällt zuallererst auf, dass das heiß diskutierte Thema Arbeitszeiten gar nicht im Kapitel „Arbeit“, sondern unter „Wirtschaftsstandort und Entbürokratisierung“ abgehandelt wird. Liest man den Einleitungssatz, weiß man auch warum: „Gesetzliche Arbeitsrechtsbestimmungen, insbesondere Arbeitszeitgesetze, sind ein wesentlicher Faktor für Standort und Arbeitsplätze.“ Nein, sind sie nicht. Arbeitszeitgesetze sind zuallererst Instrumente zur Humanisierung der Arbeitswelt. S500ie schränken die Verfügungsgewalt der UnternehmerInnen über die Arbeitskraft und deren „BesitzerInnen“ ein. Zur Sicherung von Gesundheit, Freizeit, Erholungszeit und Lebensqualität, um  Zeit für Familie, Sorgearbeit, gesellschaftliches Engagement zu haben. Arbeitszeitgesetze schützen diejenigen, die ökonomisch schwächer sind und die nichts zu verkaufen haben, außer eben ihre Arbeitskraft. Arbeit ist eben keine Ware wie jede andere – hinter ihr stehen Menschen mit all ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen, Schicksalen, Eigenheiten und Problemlagen. Darum, genau darum haben wir Arbeitszeitgesetze, mühsam, oft genug blutig erkämpft. Egal ob es sich um den 8-Stunden-Arbeitstag oder die 40-Stunden-Woche handelt.
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All das interessiert FPÖ und ÖVP nicht. Sie flexibilisiert und „entbürokratisiert“ einmal mehr die ohnehin schon sehr flexiblen Arbeitszeitregelungen in Österreich. Was unter Flexibilisierung und Entbürokratisierung gemeint ist? Vor allem die Ausdehnung von Höchstarbeitszeiten.
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  • 12-Stunden-Arbeitstag: Die tägliche Höchstarbeitszeitgrenze soll von derzeit generell 10 auf 12 Stunden erhöht werden. 12 Stunden waren auch bislang möglich – allerdings unter der Voraussetzung eines erhöhten Arbeitsbedarfs, der Gefahr eines unverhältnismäßig hohen wirtschaftlichen Schadens für das Unternehmen und – falls kein Betriebsrat vorhanden – gegen Vorliegen einer arbeitsmedizinischen Unbedenklichkeitsbescheinigung. In Betrieben mit Betriebsrat musste bei erhöhtem Arbeitsbedarf eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden. Das soll künftig wegfallen, der Zugang zur Höchstarbeitszeit von 12 Stunden wird  deutlich erleichtert, generell möglich, der Ausnahmecharakter geht verloren. Selbiges gilt für 60-Stunden-Woche. Auf 12 Stunden angehoben werden soll auch die Arbeitszeithöchstgrenze bei Gleitzeit – wie schon unter rot-schwarz geplant.

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  • Besonderer Bedeutung kommt die von schwarz-blau geplante „Stärkung der Betriebsebene“ bei Arbeitszeitfragen. Ziel ist ein „weniger restriktiver“ Gesetzesrahmen aber insbesondere wohl auch die Schwächung der kollektivvertraglichen Ebene. Arbeitszeitregelungen sollen künftig dort verhandelt werden, wo die Verhandlungsmacht der ArbeitnehmerInnen am schwächsten ist – im Betrieb. Mit etwas Glück gibt es noch einen relativ starken Betriebsrat vor Ort, mit etwas Pech gar keinen. Dann darf jede/r ArbeitnehmerIn selbst sein/ihr Arbeitszeitflexi-Paket mit dem/der Vorgesetzten ausverhandeln. Auch wenn ÖVP und FPÖ beteuern, „kollektivvertragliche Regelungen“ blieben unberührt und ebenso das „Regelungsregime der Zuschläge“, darf dieses Versprechen getrost bezweifelt werden. Welchen Sinn hätte die ganze Übung mit Anhebung der Höchstarbeitszeiten denn sonst? Verbetrieblicht werden könnten z.B. auch Durchrechnungszeiträume, innerhalb derer Zuschläge schlagend werden. Die Wirtschaft hätte am liebsten Durchrechnungszeiträume von bis zu zwei Jahren, oder – wie ebenfalls im Regierungsprogramm verankert – die Möglichkeit Zeitguthaben über Jahre hinweg mitzunehmen. Über derartig lange Zeiträume fallen dann gar keine Zuschläge mehr an. Gearbeitet werden soll, wenn es Aufträge gibt. Abgebaut werden die Überstunden, wenn es weniger Arbeit gibt, und der/die ChefIn will.  Das Angenehme für die Unternehmen: es fallen keine teuren Überstundenzuschläge an, das „unternehmerische Risiko“ wird auf die ArbeitnehmerInnen abgewälzt. Die verlieren Zeitautonomie und Einkommen. Von „Freiwilligkeit“ betreffend des 12-Stunden-Tags, wie von den Regierungsparteien bei den Verhandlungen noch versprochen,  ist im Programm keine Rede mehr. Die Praxis wird zeigen, wie sich die Flexibilisierung auswirken wird. Dass Arbeitszeiten kürzer oder Einkommen höher werden, darf allerdings bezweifelt werden.

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  • Ebenfalls ein Maßnahme zur Ausweitung von Arbeitszeiten stellt die Möglichkeit dar, auf Betriebsebene vier mal jährlich Ausnahmen von der Wochenend- und Feiertagsruhe zu schaffen.

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  • Für Beschäftigte im Tourismus und in der Gastronomie ist  die Verkürzung der täglichen Ruhezeit bei geteilten Diensten (Z.B. Vormittagsdienst, drei Stunden Pause, anschließend Nachmittagsdienst) von 11 auf 8 Stunden eine besonders drastische Maßnahme, die klar zulasten von Erholungsphasen und Gesundheit geht. Unter Berücksichtigung von Wegzeiten, notwendiger Hausarbeit, Körperpflege etc. reduziert sich die Schlafzeit auf unter 6 Stunden. Mittel- bis langfristig eine schwere gesundheitliche Belastung. Die Attraktivität von Beschäftigungsverhältnissen im Tourismus wird durch derartige Maßnahmen nicht erhöht. Und das ausgerechnet in einer Branche, die aufgrund belastender Arbeits- und schlechter Einkommensbedingungen bereits jetzt unter Arbeitskräftemangel leidet.

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  • Zuletzt sollen auch noch jene Personengruppen, die erst gar nicht unter das Arbeitszeitgesetz fallen – dzt. sind das leitende Angestellte –  im Sinne der EU-Arbeitszeitrichtlinie ausgeweitet werden. Hier macht sich schon die schwarz-blau eigene Ablehnung des sog. „Golden Plating“ – der restriktiveren, oft aus umwelt- oder sozialpolitischen Gründen besseren, nationalstaatlichen Umsetzung von EU-Richtlinien, als unbedingt erforderlich – bemerkbar. Nur noch EU-Mindeststandards sollen umgesetzt werden – insbesondere auch, wenn es um arbeits- und sozialpolitische Regelungen geht.

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In ihren Forderungen nach einer Verbetrieblichung der Arbeitszeitpolitik, der generellen Anhebung der Arbeitszeithöchstgrenze auf 12 Stunden täglich/60 Stunden wöchentlich hat sich die Industriellenvereinigung voll durchgesetzt. ArbeitnehmerInnenrechte haben sich voll und ganz der kapitalistischen Verwertungs- und Standortlogik zu unterwerfen, nicht der Ausgleich von ökonomischen Machtverhältnissen zugunsten der Schwächeren steht im Mittelpunkt, nicht der Schutz der körperlichen und psychischen Unversehrtheit, sondern die Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit  – ein hoch ideologischer Begriff – und betriebliche Interessen. Die geplanten flexibleren Arbeitszeitregelungen sind nur ein Beispiel dafür, wohin die Reise unter schwarz-blau geht. Grundsätze – wie eben jener, dass das Arbeitsrecht ein Machtgleichgewicht zwischen ökonomisch Starken und ökonomisch Schwachen herstellt –  werden in Frage gestellt.

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Mehr Analysen zum ÖVP-FPÖ Regierungsprogramm auf unserem Verteilungsgerechtigskeit- Blog  und auf reflektive.at.
Presseaussendung der AUGE/UG: AUGE/UG, Paiha: „Nein zum 12-Stunden-Arbeitstag!“

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