Systemveränderinnen statt Systemerhalterinnen!


Ein Beitrag von Viktoria Spielmann, Betriebsrätin im AMS und Arbeiterkammerrätin der AUGE/UG

Die Covid-19-Krise schärft den Blick für schon vorher existente soziale Ungleichheiten in Österreich. Weniger stark hingegen ist derzeit der Fokus auf die Verschränkung von sozialen Ungleichheiten mit Ungleichheiten aufgrund des gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisses. Dabei war dieser Zusammenhang selten so offensichtlich. Ein Plädoyer für soziale Gerechtigkeit – für alle.

Das geflügelte Wort „systemrelevant“ ist in aller Munde. Viele Berufe, die derzeit als systemrelevant gelten – wie etwa im Lebensmittelhandel, im Gesundheits- und Pflegebereich, im Reinigungsbereich und im Sozialbereich – haben einen hohen Frauenanteil und einen hohen Anteil an Menschen mit Migrationsgeschichte.

Grafik: Moment Magazin, Daten: Statistik Austria

Die Beschäftigten verdienen in diesen frauendominierten Bereichen weniger als in männerdominierten Bereichen.

Drei wesentliche Faktoren führen zu diesem Zustand:

1. Die Einstiegsgehälter in diesen Branchen sind niedriger als in den männerdominierten Bereichen. Während beispielweise Pflegeassistent*innen 1.850-1.960 Euro brutto Einstiegsgehalt bekommen, bekommen Maschinenbautechniker*innen 2.500 bis 3.190 Euro brutto Einstiegsgehalt1.

2. Doch nicht nur zwischen den unterschiedlichen Branchen gibt es Unterschiede aufgrund des Geschlechts: Hinzu kommt der generelle Gender Pay Gap innerhalb der systemrelevanten frauendominierten Berufe. Laut Einkommensbericht des Rechnungshofs (2018) liegt der Frauenanteil im Gesundheits- und Sozialwesen bei 78%. Obwohl die Frauen in dieser Branche eindeutig in der Mehrheit sind, verdienen sie um 25% weniger als ihre männlichen Kollegen. Selbst wenn man ganzjährig vollzeitbeschäftigte Frauen und Männer in dieser Branche vergleicht und damit den Gender Pay Gap um den Faktor Teilzeitbeschäftigung bereinigt, verdienen Frauen noch immer um 13% weniger als Männer.

3. Frauen arbeiten generell- und speziell in diesen Branchen – häufiger in Teilzeitbeschäftigung. Während laut Einkommensbericht des Rechnungshofs (2018) Frauen ihre Arbeitszeit hauptsächlich verkürzen, um Kinder zu betreuen oder erwachsene Angehörige zu pflegen (40% der befragten teilzeitarbeitenden Frauen), verkürzen Männer ihre Arbeitszeit nur sehr selten wegen Kinderbetreuung oder aufgrund von Pflege von erwachsenen Angehörigen (nur 4% der befragten teilzeitarbeitenden Männer gaben das als Grund an), sondern für Aus-und Weiterbildung (34%). Das bedeutet, dass Frauen nicht nur bezahlte gesellschaftlich notwendige Arbeit leisten, sondern auch ihre Arbeitszeit verkürzen, um gesellschaftlich notwendige und wichtige unbezahlte Erziehung- und Pflegetätigkeiten auszuüben. Das führt zu Einkommensverlusten, ökonomischer Abhängigkeit in der Partner*innenschaft und oft zu massiven Pensionseinbußen im Alter. Viele Frauen wissen dabei oft nicht, wie sich Teilzeitbeschäftigung und Kindererziehung auf die Pension auswirken.

Die Mehrfachbelastung von arbeitenden Eltern und vor allem von Frauen mit Betreuungspflichten wird gerade jetzt in der Krise besonders sichtbar: Homeoffice und die Kinderbetreuung von kleinen Kindern ist ein Drahtseilakt und bringt viele an ihre Grenzen. Der Diskurs zeigt einmal mehr, dass Kinderbetreuung nicht als Arbeit gesehen und anerkannt wird, sondern als etwas was so nebenbei geht.

Wir haben es hier also mit einer mehrfachen strukturellen Diskriminierung zu tun: Einerseits werden diese systemrelevanten frauendominierten Berufe an sich schlechter bewertet und bezahlt. Andererseits kümmern sich immer noch hauptsächlich Frauen um Kinderbetreuung und um die Pflege von erwachsenen Angehörigen aufgrund von fehlender Infrastruktur oder fehlenden politischen Anreizen zur partnerschaftlichen Teilung der Sorgearbeit. Besonders drastisch stellt sich die Situation für Alleinerzieher*innen (hauptsächlich Frauen) dar, die Lohnarbeit und Kinderbetreuung meist allein und unter extrem prekären finanziellen Bedingungen bewältigen müssen.

Diese Diskriminierungen sind ein politischer Auftrag und müssen endlich beseitigt werden. Dafür sind folgende Schritte notwendig:

– Die derzeitige Krise zeigt wie gefährlich die Einsparungen im Sozialstaat sind. Um die Krise nachhaltig zu bewältigen, müssen wir genau in diese soziale Infrastruktur mehr statt weniger investieren. Während erwirtschaftete Gewinne privatisiert werden, werden Verluste sozialisiert. Dieses ökonomische Verhältnis müssen wir dringend ändern!

– Die systemrelevante Arbeit von Frauen muss in Form von höherer Entlohnung aufgewertet werden.

– Da gerade in den systemrelevanten Berufen viele Frauen Teilzeitarbeit nachgehen, würde eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 oder 30 Stunden pro Woche eine bessere Entlohnung bedeuten. Weiters würde eine generelle Arbeitszeitverkürzung dazu führen, dass bezahlte Arbeit neu verteilt werden muss. Gerade deshalb ist der Abschluss der Kollektivvertragsverhandlungen in der Sozialwirtschaft besonders enttäuschend. Die Gewerkschaft hat ihre einzige Forderung nach der 35 Stunden Woche ganz plötzlich und gegen den bestehenden Beschluss nicht auf das letzte Arbeitgeber*innenangebot einzugehen, aufgegeben und das obwohl es so viele Streiks und viel Rückhalt aus der Basis und der Bevölkerung gab.

– Es braucht einen massiven Ausbau von leistbaren, leicht erreichbaren und qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungseinrichtungen, die länger geöffnet sind.

– Die Unterstützung von Alleinerzieher*innen muss endlich stärker in den Fokus der Politik gerückt werden.

Was Beschäftigte in systemrelevanten Berufen mit hohem Frauenanteil brauchen, ist kein Applaus, sondern endlich Gerechtigkeit. Um es mit den Worten vom Instagram Account „frauschwester“, die mit ihrer politischen Arbeit konstant auf Missstände im Gesundheitsbereich hinweist, zu sagen: „Ich bin keine Heldin. Ich bin Krankenpflegerin. Ich will meinen Job machen und angemessen dafür bezahlt werden. […] Ich will menschenwürdig pflegen und dabei selbst Mensch bleiben.“

1 Quelle: AMS Gehaltskompass, durchschnittliche brutto Einstiegsgehälter laut entsprechenden Kollektivverträgen Stand Juli 2018

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